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Ein Leben mit Spina bifida: "Kein einfacher, aber in vielen Momenten auch ein sehr schöner Weg"

Maya Lauren Matschek, 03.12.2024 16:59

ENNS. Am 3. Dezember ist der Internationale Tag der Menschen mit Beeinträchtigung. Dieser Tag ist ein wichtiger Anlass, um auf die Rechte, Bedürfnisse und die Inklusion von Betroffenen aufmerksam zu machen. Auf lokaler Ebene gibt es dahingehend Initiativen, wie die Selbsthilfegruppe MMC Oberösterreich, mit Sitz in Enns. Diese gemeinnützige Gruppe setzt sich speziell für Menschen ein, die mit Spina bifida (“offener Rücken“) und Hydrocephalus (“Wasserkopf“) geboren wurden.

Was sich Betroffene am meisten von der Gesellschaft wünschen, ist Dazugehörigkeit. (Foto: MMC OÖ)
  1 / 4   Was sich Betroffene am meisten von der Gesellschaft wünschen, ist Dazugehörigkeit. (Foto: MMC OÖ)

Ziel des Internationalen Tags der Menschen mit Beeinträchtigung als auch der MMC-Selbsthilfegruppe ist es, das Bewusstsein für die Anliegen und Probleme von Beeinträchtigten (weltweit) zu stärken. Die spendenfinanzierte Gruppe aus Enns hat in ihrer knapp 30-jährigen Geschichte nicht nur wichtige Aufklärungsarbeit in der Gesellschaft geleistet, sondern unterstützt Betroffene maßgeblich in verschiedenen Lebensbereichen. Für Andreas Hintringer vom Leitungsteam, „eine unverzichtbare Notwendigkeit.“

Hintringer: „Mit richtiger Unterstützung ein erfülltes Leben führen“

MMC steht für „Myelomeningocele“, lateinisch für Spina bifida. Diese angeborene Fehlbildung der Wirbelsäule zählt zu den sogenannten Neuralrohrdefekten und ist auch bekannt als „offener Rücken“. Hierbei ist das Rückenmark oder die Wirbelsäule nicht vollständig geschlossen, was je nach Schweregrad von leichten Gehbehinderungen bis hin zu Querschnittslähmungen führen kann.

Hydrocephalus hingegen beschreibt einen „Wasserkopf“, der durch einen Stau von Gehirnflüssigkeit entsteht und auch eine Begleit- oder Folgeerscheinung von Spina bifida sein kann. Beide Erkrankungen erfordern intensive medizinische Betreuung, oft lebenslang. Hydrocephalus kann auch erst im Erwachsenenalter bei bislang „gesunden“ Menschen auftreten und äußert sich durch Schwindel, Unwohlsein, einen erhöhten Druck in den Augen, Kopfschmerzen, die immer stärker werden und Erbrechen. „Sobald zwei dieser Symptome auftreten, sollte der Betroffene Ursachenforschung betreiben und dies mit einem Facharzt abklären“, empfiehlt Hintringer.

„Das Leben mit Spina bifida und Hydrocephalus bringt viele Herausforderungen mit sich“, erklärt der Gruppen-Leiter, „Doch mit der richtigen Unterstützung kann man lernen, ein erfülltes Leben zu führen.“

Prävention und Unterstützung

Ein entscheidender Faktor zur Prävention von Spina bifida ist die ausreichende Einnahme von Folsäure vor und während der Schwangerschaft. Doch wenn die Diagnose feststeht, ist es wichtig, frühzeitig Unterstützung zu suchen. „Unsere Selbsthilfegruppe ist oft der erste Anlaufpunkt für frisch diagnostizierte Familien“, so Hintringer. „Wir geben Ratschläge zu Pflegestufen, schulischer Integration und alltäglichen Herausforderungen. Es ist uns wichtig, das Gefühl zu vermitteln: Ihr seid nicht allein.“

Erste Spina-bifida-Abteilung in ganz Österreich

Die Selbsthilfegruppe MMC wurde vor etwa 32 Jahren in Wels gegründet. Andreas Hintringers Engangement begann mit persönlicher Betroffenheit: 1996 bekam er mit seiner Frau Sylvia eine Tochter, die ebenfalls mit Spina bifida geboren wurde. Daraufhin trat er als Mitglied der Selbsthilfegruppe bei, „die damals nicht wirklich organisiert, sondern eher ein 'von Zeit zu Zeit zusammenkommen' war“, erzählt Andreas. Nach einem Schicksalsschlag, der die damalige Leitung betraf, übernahm Familie Hintringer 1997 die Organisation und baute sie zu einer professionellen Selbsthilfegruppe aus.

Einer der bisher größten Erfolge war es, „gemeinsam mit der Kinderurologie der Barmherzigen Schwestern in Linz eine Spina-bifida-Abteilung in der Landeshauptstadt installiert“ zu haben. Auch, dass immer wieder prominente Menschen wie Andreas Herzog, Armin Assinger, Fadi Merza, Marc Janco und Lizz Görgl Veranstaltungen der Selbsthilfegruppe besuchen „berührt uns und ist für uns ein Erfolg. So bekommen die Betroffenen eine Bestätigung ihres Selbstwertgefühls“, erklärt Hintringer.

Hintringer: „Wer Hilfe braucht, bekommt diese auch“

Heute ist der Sitz in Enns und die MMC begleitet rund 45 Familien aus Oberösterreich, zwei aus Niederösterreich und fünf aus Wien und Umgebung. „Anschließen kann sich grundsätzlich jeder, der von Spina bifida betroffen ist - ohne Anmeldung oder Mitgliedschaft. Die Herkunft spielt keine Rolle. Wer Hilfe braucht, bekommt diese auch, sofern wir helfen können“, so Hintringer.

Treffen, Vorträge und jährliche Aktivwoche

Das MMC-Leitungsteam, bestehend aus Sylvia und Andreas Hintringer sowie Cornelia und Martin Stelzhammer, organisiert gemeinsam mit einer handvoll Ehrenamtlichen zahlreiche Aktivitäten. Neben regelmäßigen Treffen gehören dazu Vorträge mit medizinischen und rechtlichen Experten, gemeinsame Freizeitaktivitäten wie Fischen sowie Feiern zu Weihnachten oder Fasching. Sogar eine Disco wird veranstaltet.

„Vor allem die jährliche Aktivwoche ist ein besonderes Highlight“, erzählt Andreas, der diese erstmals 2007 geplant hat. In der einen Woche trainieren rund 60 Betroffene unter professioneller Anleitung den Umgang mit dem Rollstuhl, auf den etwa 30 von den 60 Teilnehmenden voll angewiesen ist, außerdem können Eltern und Kinder voneinander lernen. „Es ist unglaublich, wie viel Zusammenhalt und Selbstbewusstsein in dieser Woche entsteht“, erzählt Hintringer.

Die MMC-Selbsthilfegruppe zeichnet sich grundsätzlich durch ihren Teamgeist aus, ihr Vorbild: der Regenbogenfisch aus dem gleichnamigen, bekannten Kinderbuch. „Die Geschichte vom Teilen und Zusammenhalt passt perfekt zu uns“, erklärt Hintringer. Es ist zudem eine Hommage an ein verstorbenes Mitglied, das die Gruppe nachhaltig geprägt hat.

Größte Herausforderung: Gesellschaftliche Akzeptanz

Obwohl die Medizin Fortschritte macht, etwa durch pränatale Operationen oder Prävention durch Folsäure, bleiben die Herausforderungen für Betroffene groß. Neben der physischen Beeinträchtigung kämpfen viele mit gesellschaftlicher Diskriminierung, beispielsweise bei der Arbeitssuche. „Oft werden wir nur als 'die Rollstuhlfahrer' gesehen“, sagt Hintringer. „Dabei wünschen wir uns, als 'besonders' und nicht als 'behindert' wahrgenommen zu werden. Das wäre ein großer Schritt zu mehr Gleichberechtigung.“

Eine weitere Schwierigkeit seien lange Wartezeiten auf Bewilligungen für medizinische Hilfsmittel. Die Gruppe fordert hier dringend Reformen: „Es kann nicht sein, dass Kinder wochenlang ohne Korsett bleiben müssen, nur weil Bürokratie Vorrang hat.“ Hier müssten Politik und die Behörden dringend handeln.

Eine Botschaft an alle

„Wir brauchen mehr Aufklärung und Verständnis“, appelliert Hintringer. Das gelinge der MMC-Gruppe durch Präsenz bei regelmäßigen Aktivitäten in der Region. Gleichzeitig liegt es aber auch in der Verantwortung von Politik und Gesellschaft, für die Integration von Beeinträchtigten zu sorgen.

Tipps für Betroffene

„Ein Leben mit Spina Bifida ist jedenfalls lebenswert. Sowohl für die Betroffenen selbst als auch für ihre Angehörigen. Es wird kein einfacher Weg, aber in vielen Momenten auch ein sehr schöner Weg“, so Hintringer auf die Frage, welchen Tipp er Menschen geben könne, die gerade erst die Diagnose erhalten haben.

Pläne für die Zukunft

Die MMC-Selbsthilfegruppe plant ihre Aktivitäten von Jahr zu Jahr. Für 2025 sind einige Projekte schon fixiert, beispielsweise ein Vortrag zum Thema Erbrecht am Freitag, 10. Jänner 2025. Ein Treffen zur Vorbereitung der Aktivwoche ist für Februar 2025 geplant, die Aktivwoche selbst ist von Sonntag, 13. bis Samstag, 19. Juli 2025 im Bundessport- und Freizeitzentrum (Bsfz) Südstadt.

„Wir wollen weiterhin aktiv für alle, die uns brauchen, da sein. Wir wollen gemeinsam gewisse Hürden im Gesundheitssystem überwinden und hoffen hier auf die Zusammenarbeit mit den Behörden“, stellt Andreas Hintringer in Aussicht.

Möglichkeiten, die Gruppe zu unterstützen

Wer die Arbeit der Selbsthilfegruppe MMC unterstützen, oder der Gruppe beitreten möchte, kann per E-Mail mit Andreas Hintringer Kontakt aufnehmen. Spenden für Projekte, wie die Aktivwoche, sind ebenfalls willkommen. Freiwillige können ihre Hilfsbereitschaft bei diversen Events kostenlos anbieten. Auch Prominente können helfen: „Indem sie uns bei unseren Aktivitäten besuchen - damit stehen die Betroffenen positiv im Vordergrund“, so das Leitungsteam. Umgekehrt freuen sich die Mitglieder des MMC auch jederzeit auf eine Einladung zu Veranstaltungen als „besondere Gäste“. Auch das erhöhe das Bewusstsein für diese Erkrankungen in der Gesellschaft und die Menschen, die hinter ihr stehen.

Weitere Infos und Spendenmöglichkeit unter www.mmc-ooe.at oder per E-Mail an a.hintringer@aon.at
(Spenden sind steuerlich absetzbar)

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