Demenz: Musik als Schlüssel zu den verborgenen Kammern der Seele
BEZIRK FREISTADT. Direkt ins Herz trifft ein in Österreich noch nie dagewesenes Projekt, das acht Schülerinnen der Schule für Gesundheits- und Krankenpflege Freistadt auf die Beine gestellt haben. Mit biografischer Musik finden sie Zugang in die Welt von an Demenz Erkrankten.
Musik kann die Seele eines Menschen berühren, obwohl er kognitiv nicht mehr in dieser Welt ist. „Menschen mit Demenz können sich eigentlich bis zum Schluss an ihre persönliche Lieblingsmusik erinnern. Oft wissen sie schon nicht mehr, wie ihr Name ist oder wie viele Kinder sie haben, aber wenn sie beispielsweise „Leise rieselt der Schnee“ hören, können sie mehr Strophen mitsingen als unsereiner“, sagt Hildegard Nachum, Validationslehrerin an der Gesundheits- und Krankenpflegeschule Freistadt.
Musik gegen Alzheimer
Als Hildegard Nachum ihren Schülerinnen die berührende, preisgekrönte Doku „Alive Inside – Musik gegen Alzheimer“ über das große Potenzial von personalisierter Musik in der Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz zeigte, waren die zukünftigen Fachsozialbetreuerinnen gleich Feuer und Flamme für das Thema.
„Musik ist der Schlüssel zu oft geheimen Kammern in der Seele“, wissen die Schülerinnen Barbara, Jeannie, Monika, Lea, Bianca, Anita, Emma und Evelyn, die neben ihrer Zusatzausbildung in Validation unbedingt auch noch das Projekt „Erwachen mit Musik“ auf die Beine stellen wollten.
„Die acht gestandenen Frauen zwischen 20 und knapp 50 Jahren sprühten nur so vor Begeisterung und brachten in der Organisation und Durchführung all ihren Elan und ihre Fähigkeiten mit ein“, sind Hildegard Nachum und Annemarie Doppler, Leiterin der Schule für Sozialberufe, stolz auf „die außergewöhnliche Klasse.“
Pilotheime Rainbach, Bad Zell und Engerwitzdorf
Die Seniorenheime in Rainbach, Bad Zell und Engerwitzdorf wurden als Pilotheime ausgewählt, mit der Unterstützung von Sponsoren mp3-Player sowie Kopfhörer angekauft. Die Kopfhörer sind wichtig, damit die Musik ohne störende Nebengeräusche bis ins Gehirn der Senioren vordringt.
Die Angehörigen der für das Projekt „Erwachen mit Musik“ ausgewählten Heimbewohner – alle in einem Stadium fortgeschrittener Demenz – halfen den künftigen Fachsozialbetreuerinnen dabei, die biografische Musik eines jeden Einzelnen herauszufinden. „Der Musikgeschmack wird in den ersten 30 Lebensjahren geprägt und brennt sich ein“, weiß Hildegard Nachum.
Vertraute Musik belebt und nimmt Ängste
„Im Seniorenheim Rainbach lebt eine Dame, die plötzlich nicht mehr essen wollte. Kognitiv kann man sie nicht mehr erreichen. Als die Angehörigen aber erwähnten, dass die Frau früher immer so gern den Musikantenstadl gehört habe, organisierten die Schülerinnen die entsprechende Musik. Wenn die alte Dame jetzt Karl Moik über ihre Kopfhörer hört, isst sie plötzlich wieder“, nennt Nachum ein eindrucksvolles Beispiel aus der Praxis.
„Die vertraute Musik entstresst, belebt, weckt positive Erinnerungen und reduziert Ängste. Nicht umsonst ziehen Soldaten singend in die Schlacht oder man selbst trällert ein Liedchen, wenn man in den dunklen Keller hinabgeht“, unterstreicht die Validationsexpertin, die sich dafür stark macht, viel mehr Musik in die Pflege zu bringen.
Zukunftsmusik und Abschlusspräsentation
„Meine Zukunftsmusik ist es, dass Angehörige neuer Heimbewohner schon bei der Anamnese nach deren biografischer Musik gefragt werden und am besten auch gleich Kopfhörer und mp3-Player besorgen“, so Nachum, die ihren Schülerinnen sicherheitshalber schon mal verraten hat, dass Leonard Cohen ihr Lieblingsmusiker ist.
Das Pilotprojekt „Erwachen mit Musik“ läuft noch bis Ende Juli. Am 30. August wird es ab 10.30 Uhr im Rahmen der Abschlussfeier im Salzhof Freistadt präsentiert.
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