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18 Jahre gefangen im eigenen Körper: Wie ein Mann endlich sein Glück fand

Sabrina Lang, 20.06.2023 16:02

GRIESKIRCHEN/WIEN. Blau statt Pink, Autos statt Barbies und Kurzhaarschnitt statt Zöpfen: Für den gebürtigen Grieskirchner Mike Rizy war bereits in seiner Kindheit klar, dass etwas bei ihm anders war. Geboren als Mädchen, hatte er sich nie für typische Mädchensachen interessiert. Bis er wusste, woran dies lag, war es ein langer Weg. Heute lebt der 25-Jährige als Mann in Wien. Seine außergewöhnliche Geschichte hat er im Tips-Exklusivinterview erzählt.

Mike Rizy lebt heute glücklich als Mann. (Foto: privat)
Mike Rizy lebt heute glücklich als Mann. (Foto: privat)

Tips: Wie und wann haben Sie gemerkt, dass Sie lieber ein Mann sein möchten?

Mike Rizy: Das liegt weit zurück, ich habe schon früh gemerkt, dass ich anders bin. Ich habe eine Zwillingsschwester und sie war immer sehr mädchenhaft. Sie war die Prinzessin, sie war pink und ich blau angezogen. Ich war sozusagen der Prinz. Sobald mich meine Eltern die Kleidung selbst aussuchen ließen, habe ich mich für die burschikoseren Sachen entschieden. Das Gewand vom großen Bruder war mir am liebsten. Ich wusste, irgendwas stimmt in mir nicht. Ich habe mir die Haare gefärbt, mir ein Piercing stechen lassen, ich habe einfach irgendwie versucht, meinen Körper zu verändern, damit ich finde, was mit mir nicht stimmt. Bis ich wusste, dass ich kein Mädchen, sondern ein Bub sein möchte, hat es lange gedauert. Im Rahmen einer Therapie fand ich es dann heraus und es war wie eine Erlösung für mich. Endlich. Es war so tragisch für mich, so lange nicht zu wissen, wo-ran es liegt. Viele meiner Probleme haben sich so in Luft aufgelöst.

Tips: Wem haben Sie Ihre Gefühle anvertraut?

Rizy: Ich war einfach unzufrieden mit mir selbst. Mit 14 habe ich es für mich selber gewusst, aber den Schritt nach außen habe ich mit 15 gemacht. Für mein Coming-out habe ich den vorsichtigen Weg gewählt, weil ich nicht wusste, wie meine Eltern reagieren würden. Natürlich habe ich gehofft, dass sie mich unterstützen, aber ich wusste es nicht. So bin ich für ein Auslandssemester nach Amerika gegangen. Dort hatte ich die Möglichkeit, mich neu zu erfinden. Ich konnte rausfinden, ob es das ist, was mich glücklich macht. Und ja, ich war der glücklichste Mensch auf der Welt. Dann habe ich einen Brief an meine Eltern geschrieben, in dem ich mich geoutet habe. Ich hatte Angst, denn die Familie ist so ein wichtiges Band, das will man nicht verlieren. Meine Eltern haben mich dann via Videochat zurückgerufen und es gab viele Tränen – der Erleichterung –, denn meine Mutter wusste endlich, wo das Problem liegt, und meinte: „Das Mäderl wird nur ein Bub, alles halb so wild.“

Tips: Wie war Ihr früherer Name?

Rizy: Diese Sache gebe ich nicht preis, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute dann versuchen, mich unter meinem alten Namen zu sehen und feminine Züge hineinzuinterpretieren, die es nicht mehr gibt. Das ist mir mit der Zeit bewusst geworden.

Tips: Versteht man die Gefühle in der Situation sofort?

Rizy:Maßgeblich war, dass es keine Aufklärung gab und ich nicht wusste, dass es Mädchen gibt, die als Junge leben können. Ich hatte damals von Transsexualität noch nie etwas gehört.

Tips: Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie merkten, es stimmt etwas nicht?

Rizy:Es war Unzufriedenheit mit sich selbst. Heute kann ich gut da-rüber reden, weil ich mich wohlfühle. Dieses Unwohlsein im eigenen Körper und sich selbst fremd sein, wenn man sich im Spiegel sieht, ist schrecklich.

Tips: Haben Sie versucht, gegen das Gefühl anzukämpfen?

Rizy: Ja, natürlich, aber sobald ich wusste, dass ich ein Junge sein wollte, nicht mehr. Ich habe angekämpft dagegen, dass ich fühle, dass ich anders bin. Ich habe mir lange Haare wachsen lassen, hohe Schuhe getragen und es hat mich so unglücklich gemacht. Dann habe ich mir einen blauen Iro gefärbt. Ich habe versucht, mich äußerlich zu verändern. Ich habe ganz viele Sachen probiert, bis ich draufgekommen bin, es ist meine Haut, meine Hülle, die nicht passt. Mein Inneres hat sich nie verändert.

Tips: Wie hat Ihr Umfeld reagiert?

Rizy:Meine besten Freunde hatten es vorab schon geahnt und gewartet, bis ich mir selbst draufkomme. Viele Menschen haben positiv reagiert, aber natürlich ist es ein schwieriger Weg. In der Schule wurde ich teilweise als Freak abgestempelt und es wurde über mich gelästert. Aber: Nicht jeder mag jeden und das ist okay. Ich hatte Glück, dass sich die Direktorin sehr für mich eingesetzt hat.

Tips: Fühlten Sie sich im falschen Körper gefangen?

Rizy: Ja, definitiv. Maßgeblich war, dass ich so unglücklich war. Ich hätte nie geglaubt, dass es heute keinen Unterschied zu einem maskulinen Erscheinungsbild gibt. Ich hatte Brüste, alles war weich. Heute ist alles hart und kantig. Ich hatte viele traurige Nächte, weil ich nicht wusste, ob ich jemals so aussehen würde, wie ich es mir wünschte. Wenn man sich im Spiegel selbst sehen kann, das ist so ein schönes Gefühl. Wenn man sich selber anlächeln kann und sagen kann, das bin ich.

Tips: Wie kann man sich eine Geschlechtsangleichung vorstellen? Was wird da gemacht?

Rizy: Für mich persönlich ist die Transition abgeschlossen. Ich habe alle für mich in Frage kommenden Optionen ausgeschöpft. Man bekommt Hormone, wenn man will. Dann verändert sich die Stimme, es wachsen Haare an Orten wo man es nicht glaubt und die Haare fallen aus, an Orten wo man es nicht vermutet. Die Fettverteilung setzt ein. Heute bin ich auf dem Niveau eines biologischen Mannes. Um diesen Prozess zu starten, muss man 18 sein und eine gewisse Anzahl an Therapien gemacht haben. Zwei Monate nach meinem 18. Geburtstag habe ich meine erste Hormonspritze bekommen. Das war der 9. März. Diesen Tage feiere ich wie meinen Geburtstag, denn damit wurde der Mike geboren. Meine Schwester macht mir bis heute zu diesem Tag einen Kuchen.

Tips: Warum haben Sie sich für den Namen Mike entschieden?

Rizy: Das frage ich mich auch öfter. Ich war ein Jugendlicher und kam aus Amerika zurück. Aber ich identifiziere mich sehr gut mit dem Namen. Meine Mutter hätte mich Paul genannt, wäre ich bei der Geburt ein Junge gewesen. Es war gar nicht so einfach einen Namen zu finden, wenn man ihn sich selber geben und aussuchen kann. Ich bin aber glücklich damit.

Tips: Können Sie durch Ihre Vergangenheit Frauen besser verstehen?

Rizy: Ja und nein. Aber größtenteils ja, weil ich es selbst erfahren habe wie es ist von der Gesellschaft als Frau wahrgenommen zu werden. Ich weiß wie es sich anfühlt als Mädchen alleine nach Hause zu gehen und wie es als Mann ist. Ich weiß wie es sich anfühlt als Frau vor Männern zu sprechen und kein Gehör zu finden und wie es umgekehrt sein kann. Ich kann Frauen in vielen Sachen verstehen, weil ich selbst in der Haut gesteckt habe.

Tips: Ist Ihnen vom Frausein etwas geblieben?

Rizy: Ich bin sicher empathischer, sensibler und gehe vorsichtiger mit gewissen Dingen um. Hormone spielen aber eine große Rolle. Früher habe ich viel geweint, heute selten, weil ich nicht mehr so großen Zugang zu den Emotionen habe. Es ändert sich nicht nur das Äußere sondern auch die Psyche und wie man mit Themen umgeht.

Tips: Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft im Hinblick auf Transsexualität?

Rizy:Es gehört in der Schule behandelt, denn dass man von dem Thema hört, wäre wichtig. In vielen Köpfen ist Transsexualität gleichgesetzt mit Menschen wie Conchita Wurst oder Olivia Jones. Leute wissen nicht, dass mehr dahinter steckt. Man redet aber auch einfach nicht darüber.


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