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"Im Gerichtssaal erlebt man die Vielfalt des menschlichen Lebens"

Susanne Winter, MA, 23.05.2017 20:40

KIRCHDORF AN DER KREMS. Welche Gegenstände bei den Besuchern des Bezirksgerichtes Kirchdorf gefunden wurden, warum manche Streitereien besser außergerichtlich gelöst werden und was es mit einem fliegenden Ochsen auf sich hat, das wissen die Kirchdorfer Richter.

Andreas Waldl, Gerichtsvorsteher Harald Wimberger und Reinhard Füßl (v. l.), Foto: Egelseder
  1 / 7   Andreas Waldl, Gerichtsvorsteher Harald Wimberger und Reinhard Füßl (v. l.), Foto: Egelseder

Monatlich besuchen zwischen 450 und 700 Personen das Bezirksgericht. Bevor sie die Räumlichkeiten im ersten Stock betreten dürfen, müssen sie durch die Sicherheitsschleuse gehen. Pro Monat werden 15 bis 35 Gegenstände, die als Hieb- und Stichwaffe verwendet werden können, abgenommen – meistens sind das Taschenmesser, Werkzeug und Spritzen. Kurios: Eine alte Dame trug einen 20 Zentimeter langen Schraubenzieher in ihrer Tasche und einmal wurde eine Motorsägenkette entdeckt.

Ein Gericht für den gesamten Bezirk Kirchdorf

Zu beiden Seiten entlang des Ganges sind die Büros der 21 Mitarbeiter zu finden. Vor rund vier Jahren wurde das Gericht in Windischgarsten geschlossen. Seitdem gibt es im Bezirk nur mehr das Gericht in Kirchdorf. Neben den vier Richtern Gerichtsvorsteher Harald Wimberger, Reinhard Füßl, Andreas Waldl sowie Monika Zenz, die einmal in der Woche in Kirchdorf arbeitet, sind Rechtspfleger, Beamte und Vertragsbedienstete beschäftigt. Es herrscht eine feste Geschäftsverteilung, es kann sich also niemand den Richter aussuchen.

Auflösung von Kremsmünster, Grünburg und Windischgarsten

2003 sind zwei Drittel von Kremsmünster und Grünburg und 2013 Windischgarsten zu Kirchdorf dazu gekommen. Kirchdorf gehört zum Landesgerichtssprengel von Steyr. „Wir haben trotz der Zusammenlegungen die hohe Qualität der Arbeit aufrechterhalten können“, so Gerichtsvorsteher Harald Wimberger. Bei einer großen Revision vom Oberlandesgericht, die alle fünf bis sechs Jahre stattfindet, wurde Ende 2016 alles überprüft. „Es wurden die hohe Qualität und die überdurchschnittlich rasche Verfahrensabwicklung hervorgehoben“, so Wimberger.

Justiz gibt Sicherheit

„Die Justiz ist eine absolut notwendige Einrichtung. Die Lebensqualität und die ganze Wirtschaft hängt an einer funktionierenden Rechtssprechung“, ist Richter Reinhard Füßl aus Windischgarsten überzeugt. „Wir sehen es als einen Bestandteil der Sicherheitsverwaltung. Die Gesetze sind für alle gleich und werden auch vollzogen. Das gibt dem Bürger Sicherheit“, so Gerichtsvorsteher Harald Wimberger aus Micheldorf. „Die Alternative zum Gericht ist die Macht des Stärkeren“, betont Reinhard Füßl.

Streitigkeiten um Millionen

Das Bezirksgericht ist im Zivilrechtsbereich für die Recht­sprechung bei einem Streitwert von bis zu 15.000 Euro sowie für Eigenzuständigkeiten – unabhängig vom Streitwert – wie familien- und mietrechtliche Streitigkeiten zuständig. „Wir behandeln auch große Fälle, wo es bei Hinterlassenschaften oder Scheidungen um Millionenbeträge geht“, berichtet Füßl. “Als Richter hat man die Möglichkeit, Streitigkeiten innerhalb der Familie zu lösen, indem man mit den Betroffenen viel redet“, sagt der Richter, der unter anderem für das Familienrecht zuständig ist.

Der Verlierer bezahlt

Verfahrenskosten sind jedoch in der Regel teurer wie der Streitwert. Im Zivilrecht zahlt der Verlierer. „Es macht Sinn, sich anwaltlich beraten zu lassen, bevor man vor Gericht geht“, empfiehlt Harald Wimberger. Auch sogenannte Schlichtungsstellen bieten eine Beratung.

Körperverletzung knapp vor Vermögensdelikten

Im Strafrechtsbereich ist das Bezirksgericht für Vergehen, für die eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe angedroht ist, deren Höchstmaß ein Jahr nicht übersteigt, zuständig. 105 Strafverhandlungen wurden 2016 in Kirchdorf geführt. „Zu den meisten Anklagen zählen vorsätzliche und fahrlässige Körperverletzung knapp vor Vermögensdelikten wie Diebstahl und Betrug. Bei dreiviertel der Anklagen kam es zu einer Verurteilung oder Diversion“, berichtet Richter Andreas Waldl, der in Kirchdorf unter anderem für das Strafrecht zuständig ist. Bis jetzt haben die Richter in Kirchdorf noch keine Drohungen erhalten: „Wir schlafen gut.“

Ordnung im Gerichtssaal

Einen Richterhammer sucht man im Verhandlungssaal vergeblich – den gibt es nämlich in Österreich nicht. Die Sitzordnung in den beiden Verhandlungssälen ist immer gleich. Den Vorsitz macht der Richter, links von ihm sitzt der Beklagte und rechts von ihm der Kläger.

Liegt eine Klage oder ein Strafantrag vor, hat der Richter das Verfahren zu führen und im ersten Schritt den Sachverhalt zu klären. „Ich muss herausfinden, was passiert ist, die Parteien und die Zeugen anhören, Urkunden und Beweise sichten. Ich bilde mir anschließend eine Meinung, die ich begründen muss und treffe ein Urteil“, erzählt Reinhard Füßl.

Verhandlung um 36 Cent

Generell sei es das Ziel, schnell und mit möglichst wenig Kosten das Verfahren zu beenden und dabei eine gütliche Lösung zu finden, ergänzt Harald Wimberger. „Wenn man streiten will, dann findet sich jedoch immer ein Weg“, so Füßl. Gerichtsvorsteher Harald Wimberger erinnert sich an einen Fall, bei dem um 36 Cent Verzugszinsen samt Anwalt und Zeugen verhandelt wurde.

Fliegender Ochse

Ein ebenfalls kurioser Fall beschäftigte Richter Reinhard Füßl: „Es ging um einen Schadenersatz wegen mangelhafter Tierhaltung. Ein Ochse ist von 2,5 Meter gesprungen und auf die Motorhaube eines alten Mercedes gefallen. Es wurden anschließend Mängel am Weidezaun nachgeweisen.“

Vielfalt des Lebens

„Als Richter braucht man eine gute Menschenkenntnis. Oft wird schon bei Kleinigkeiten kräftig auf die Tränendrüse gedrückt“, so Wimberger, dem die Abwechslung in seinem Job gefällt: „Kein Fall ist gleich. Man erlebt die Vielfalt des menschlichen Lebens.“

Daten und Fakten des Bezirksgerichtes Kirchdorf aus dem Jahr 2016:

  • 21 Mitarbeiter
  • rund 13.000 Aktenvorgänge
  • 1781 Zivilverfahren
  • rund 4000 Exekutionen
  • rund 4000 Grundbuchseingaben
  • 105 Strafverhandlungen
  • 93 Scheidungsverfahren

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