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„Wüstenblume“ Waris Dirie im Interview: „Wir Frauen werden diesen Planeten retten“

Karin Seyringer, 28.07.2020 18:00

LINZ. Die großartige Waris Dirie – Menschenrechtsaktivistin, Bestsellerautorin (“Wüstenblume“), Topmodel und Bond-Girl – wird die Festrede beim Internationalen Brucknerfest Linz 2020 halten - Tips hat berichtet. Mit ihrer „Desert Flower Foundation“ kämpft sie gegen die grausame Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM), die sie als Mädchen selbst erleiden musste. Tips hat sich mit Dirie vorab unterhalten.

Die Menschenrechtsaktivistin Waris Dirie hält die Festrede beim diesjährigen Brucknerfest Linz. (Foto: Desert Flower Foundation)

Tips: Sie haben sich in den 90er-Jahren getraut und sind erstmals öffentlich gegen weibliche Genitalverstümmelung aufgetreten. Sie haben damit auch ihr eigenes Trauma öffentlich gemacht. Waren sie damals Anfeindungen ausgeliefert?

Dirie: Nein, die Menschen waren schockiert über dieses ungeheuerliche Verbrechen an kleinen Mädchen. Ich habe sehr viel Zuspruch erhalten.

Tips: Mit Ihrer 'Desert Flower Foundation' kämpfen Sie gegen weibliche Genitalverstümmelung. Sehen Sie, dass sich etwas ändert?

Dirie: Ja, es hat sich sehr viel verbessert und das gibt mir auch Kraft, immer weiterzumachen. Die bisher größte Studie über FGM wurde vor einiger Zeit in der renommiertesten medizinischen Fachzeitschrift, dem 'British Medical Journal' veröffentlicht. Sie weist nach, dass FGM in ganz Afrika bei Mädchen unter 14 Jahren massiv rückläufig ist. Alleine in Ostafrika ist die Verbreitungsrate von 71 Prozent auf acht Prozent gesunken. Junge Mütter lassen ihre Töchter nicht mehr beschneiden.

Tips: Dennoch wird es noch viel zu tun geben – welche Ziele stecken Sie sich selbst?

Dirie: Wer FGM nachhaltig beenden will, muss in Bildung investieren. Alle Statistiken zeigen, dass Länder mit hohen Analphabeten-Raten auch die höchsten FGM-Raten haben. Sie gehören übrigens auch zu den ärmsten Ländern und weisen die mit Abstand höchsten Geburtenraten auf. Deshalb baue ich mit meiner 'Desert Flower Foundation' Schulen in diesen Ländern. Da es überall an Schulmaterialien fehlt, verteilen wir 'Desert Flower Bildungsboxen' inklusive erstem Lesebuch, Schulrucksack, Schreibutensilien und finanzieren mehr als 1.000 Mädchen den Schulbesuch. Voraussetzung für unsere Unterstützung ist allerdings, dass sich Eltern, Schulen und Gemeinden per Vertrag schriftlich verpflichten, FGM zu verbieten, aktiv mit uns aufzuklären und ihre Töchter regelmäßig von unserer Kinderärztin vor Ort auf ihre Unversehrtheit untersuchen lassen.

Tips: Es geht bei dieser Praktik, unter Vorwand von Tradition, Kultur und Religion, vor allem auch um patriarchalische Überzeugungen – wo kann man hier ansetzen, auch um das Recht auf Selbstbestimmung der Frauen zu stärken?

Dirie: Auch hier geht es wieder um Bildung. Laut UNESCO sind 34 Prozent der Menschen – vor allem Frauen und Mädchen – in Afrika Analphabeten. Das sind rund 400 Millionen Menschen. Nur durch massive Investitionen in Bildung lässt sich dieses System verändern.

Tips: Was bedeutet für Sie das Recht auf Selbstbestimmung, bzw. was bedeutet es, eine Frau zu sein?

Dirie: Ich war schon als Kind sehr rebellisch und habe mich gegen jede Art von Unterdrückung aufgelehnt. Ein selbstbestimmtes Leben zu führen ist das Recht jedes Menschen und ich schätze mich glücklich, eine Frau sein zu dürfen. Denn wir Frauen werden diesen Planeten retten!

Tips: In Österreich mag man denken, dass FGM weit weg ist von uns, schätzungsweise sind aber rund 8.000 Frauen hierzulande betroffen. Braucht es auch hier stärkere Aufklärung?

Dirie: Absolut. Die österreichischen Politikerinnen sind gefordert, ihren Versprechungen und Ankündigungen auch Taten folgen zu lassen.

Tips: Wie erleben sie selbst die Corona-Krise. Ziehen sie für sich persönlich Lehren aus dieser historischen Situation?

Dirie: Meine große Leidenschaft ist die Malerei und Sport. Ich habe viel gemalt und war jeden Tag joggen. Als Nomadenkind habe ich gelernt, dass Mutter Erde immer stärker ist als wir Menschen und nicht sie von uns, sondern wir von ihr abhängig sind. Liebe Leute: Es ist besser ihr respektiert Mutter Erde, sonst wird sie euch eine Lehre erteilen, die ihr nicht so schnell vergessen werdet. Corona war nur ein Warnschuss!

Tips: Sie wurden eingeladen, die Festrede zum Internationalen Brucknerfest Linz zu halten. War sofort klar, dass sie zusagen?

Dirie: Ja, denn ich liebe Musik.

Tips: Das Motto des diesjährigen Brucknerfestes ist 'Kontroverse' – thematisiert wird auch die Frage, wie mit Tradition umzugehen ist. Sie werden dem Publikum viel zu sagen haben...

Dirie: Es geht nicht nur um Tradition, es geht vor allem um menschliche Gier, Geiz, Respektlosigkeit, Intoleranz und Dummheit, die weltweit epidemische Ausmaße erreicht haben und noch viel schlimmer als Corona sind.

Mehr Infos zum Engagement von Waris Dirie und der Desert Flower Foundation: www.desertflowerfoundation.org
Der Brucknerfest-Festakt findet am 13. September ab 10.30 Uhr statt. Die Eröffnungsrede wird aufgrund der eingeschränkten Platzkapazitäten auch im Live-Stream übertragen, unter anderem auf dem Brucknerhaus-Facebook-Kanal.

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