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"Erinnerungen aus der Perspektive der Gegenwart": Die Nibelungenbrücke in Linz und ihr zweites Gesicht

Karin Seyringer, 20.11.2024 23:38

LINZ. In einem gemeinsamen Projekt beleuchten Kunstuni Linz und Johannes Kepler Uni spannend und zugänglich die Vergangenheit der Nibelungenbrücke als NS-Bau. Eröffnet wurde sie am Mittwochabend. Ein Besuch lohnt sich. 

  1 / 5   Eine spannende Schau thematisiert die Geschichte der Nibelungenbrücke. (Foto: Mark Sengstbratl Architekturfotografie)

„Wissen Sie, warum diese Brücke so heißt?“ Diese Frage wurde für das Projekt auch Passanten gestellt. Fast niemand konnte sie beantworten, viele wissen nicht um die NS-Vergangenheit der zentralen Linzer Verkehrsverbindung. Bis heute verweist auch keine Tafel, kein Denkmal darauf.

Die spannende neue Ausstellung „Über eine Brücke … gehen / fahren / schreiben / forschen / reden / streiten…“, aktuell zu sehen an der Kunstuni Linz, im Brückenkopfgebäude Hauptplatz 6, beschäftigt sich mit Erinnerungskultur und Erinnerungsarbeit. Die Geschichte der ab 1938 erbauten Nibelungenbrücke wird wissenschaftlich und auch künstlerisch thematisiert.

„Erinnerungen aus der Perspektive der Gegenwart“

Das Projekt stammt von Historikerin Birgit Kirchmayr (Institut für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte, JKU) sowie Angela Koch und Wiltrud Hackl vom Institut für Medien an der Kunstuni Linz und Co.Lab für Erinnerungsarbeit • ästhetisch-politische Praktiken.

Die Brückenkopfgebäude am Hauptplatz, heute Heimat der Kunstuni Linz, sind ebenfalls Bauten aus der NS-Zeit. „Wir wollen auch diese und damit zusammenhängend die Erinnerung an den Nationalsozialismus immer wieder thematisieren und uns laufend damit auseinandersetzen“, so Koch. „Wir versuchen Erinnerungen aus der Perspektive der Gegenwart heraus herzustellen.“

Birgit Kirchmayr hatte auch die Ausstellung „Kulturhauptstadt des Führers“ zur Kulturhauptstadt Linz 09 kuratiert. Nun folgte die genauere Auseinandersetzung konkret mit der Nibelungenbrücke. Im Rahmen der Lehrveranstaltung „Public-History“ haben Studierende sich durch die Archive gegraben.

„Wir sind wirklich auf sehr viele, bislang unbeachtete Bestände gestoßen. Wir haben eine wunderbare Foto-Baudokumentation der Brücke im Archiv der Stadt Linz finden können. Über 500 Fotos, die quasi den täglichen Baufortschritt der Brücke dokumentieren. Und auch zeigen, was für eine unglaubliche Großbaustelle das gewesen ist“, erzählt Kirchmayr.

Der Name

Der Name Nibelungenbrücke tauchte laut den Recherchen übrigens erstmals erst im Jahr 1939 auf. Die Nibelungenbrücke wurde unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich errichtet. Dass sie auch die Ideologie des NS-Regimes repräsentieren sollte, zeugt der Name. „Also dieser Zug nach Osten, den auch die Nibelungen gemacht haben, dafür steht sozusagen der Anschluss Österreichs, die Erweiterung des Deutschen Reichs durch die Ostmark“, berichtet Kirchmayr.

Ausstellung verbindet Forschung und Kunst

„Was in einer Institution wie der Kunstuniversität Linz so hervorragend möglich ist und funktioniert, ist die Verbindung von Wissenschaft und künstlerischer Forschung, aber auch Umsetzung. Und das findet sich in dieser Ausstellung, mit vielen künstlerische Zugängen“, erzählt auch Wiltrud Hackl.

Ein in der Schau zu sehendes Beispiel ist etwa die Arbeit „Torte statt Worte“ von Anna Pech und Moritz Matschke, die der Nibelungenbrücke quasi eine Linzer Torte, gestrichen in die Fugen, überreichen.

Neu erzählt wird in der Schau zudem in feministischer Sichtweise der Nibelungenmythos.

Aufgearbeitete Historie

Thematisiert wird in den verschiedenen Räumen zudem die gegenwärtige Brücke. Akustisch erfahrbar wird sie dabei zum Beispiel in Kooperation mit der Plattform „Sounding Linz“.

Historisch aufgearbeitet werden Themen wie die Enteignung von Linzern, damit Platz für die Brücke und Umgebung geschaffen werden konnte. Eine umfassende Darstellung der Baugeschichte zur Brücke ist zugänglich, eine Collage der im Archiv gefundenen 500 Fotografien zum Bau ist entstanden.

Auch Zwangsarbeit wird thematisiert. Kirchmayr: „Jedenfalls sind hier Kriegsgefangene eingesetzt worden. Das wird sogar in der 'Deutschen Wochenschau', also in der Nazi-Wochenschau, erwähnt, die wir aus dem Bundesarchiv Berlin bekommen konnten und die hier gezeigt wird.“

Dokumente wie alte Zeitungsartikel und die Original-Baupläne zum selbst nachstudieren, Audio-Stationen und mehr warten auf Interessierte.

Mitmachen erwünscht

Ein Bereich erlaubt es Besuchern, sich selbst am Diskurs zu beteiligen: in einem aufgelegten Gästebuch, auf Zetteln oder Postkarten. Bei der Unterführung Nibelungenbrücke zeigen Studierende und Lehrende auf Plakaten (bis 1. Dezember) ihre Wünsche und Utopien zur Brücke, die auch mit Anmerkungen versehen werden können. Die Veränderungen werden täglich fotografisch festgehalten.

Inhalt der Ausstellung und Konzept wurden von Studierenden der Kunstuni und der JKU vor allem im Rahmen des gemeinsamen Bachelorstudiums Kulturwissenschaften erarbeitet. Gestaltet wurde die Ausstellung von Lena Heim und Rosalie Siegl.

Rahmenprogramm

Die spannende Ausstellung ist bis Mittwoch, 18. Dezember geöffnet, Montag bis Freitag von 11 bis 18 Uhr. Eintritt frei.

Begleitend zur Ausstellung gibt es am Dienstag, 26. November, 18 Uhr, die Diskussionsrunde „Eine Torte für die Brücke“ mit Wiltrud Hackl im Gespräch mit den Kunstschaffenden Anna Pech und Moritz Matschke.

Am Dienstag, 3. Dezember, 18 Uhr, sind unter dem Titel „Kontaminierte Objekte & Gebäude“ Angela Koch und Eva Meran (Haus der Geschichte Österreich) im Gespräch zu erleben.

Das Thema „Nibelungenmythos und Nationalsozialismus“ diskutiert Birgit Kirchmayr am Donnerstag, 12. Dezember, 18 Uhr, mit Robert Schüller von der Universität Fribourg (Schweiz).


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