Neuer Gedenkort im Entstehen: "ein Beitrag gegen das Vergessen als auch ein Hoffnungssymbol für eine Veränderung"
LINZ/TRAUN. Ein Gedenkort für Menschen, die auf der Flucht gestorben sind, entsteht am Stadtfriedhof Linz/St. Martin in Traun. Aus sechs eingereichten Projekten wurde das Projekt „VorAugen / InSight“ des Wiener Künstlers Arye Wachsmuth ausgewählt. Die Eröffnung ist im Frühjahr 2022 geplant.
Ziel des Gedenkortes am Stadtfriedhof St. Martin (in Form einer „wall of names“) soll sein, an jene Toten zu erinnern, die auf der Flucht ihr Leben verloren haben – sei es beispielsweise im Mittelmeer, auf der Balkanroute oder in einem der Lager in Libyen (und darüber hinaus). Seit 2014 bis heute sind laut Angaben des Statistikportals Statista alleine im Mittelmeer um die 22.000 Personen umgekommen. Dieses Sterben auf der Flucht ist in aller Regel ein leises Sterben, ein stilles Sterben, ein Sterben im toten Winkel der Weltöffentlichkeit.
Der geplante Gedenkort soll letztendlich drei Zwecke erfüllen: Hauptintention soll sein, an diese „Toten ohne Ort“ zu erinnern und dem Gedächtnis an sie eine würdige Form bzw. Gestalt zu geben. Jene Menschen, die zu keinem Grab für ihre Verstorbenen gehen oder zumindest an dieses Grab denken können, sollen – so sie wollen – hier einen Ort für ihre Trauer finden. Anlässlich des Langen Tags der Flucht (UNHCR) soll künftig an diesem Gedenkort ein multireligiöses Totengedächtnis stattfinden, zu dem selbstverständlich auch Menschen eingeladen sind, die keiner Religion angehören (wollen).
Überzeugender Entwurf des Künstlers Arye Wachsmuth
Die Wahl einer sechsköpfigen Jury fiel letztendlich auf den Entwurf von Arye Wachsmuth, weil er den Gedenkort als Trauerort und zugleich auch als Statement für einen respektvollen, würdevollen sowie inkludierenden Ort gestaltete.
Der Wiener Künstler selbst betonte bei der Vorstellung seines Entwurfes, dass die zahlreichen Todesfälle im Mittelmeer und auf den Fluchtrouten aus Afrika eine grausame Realität bildeten, die mit erschreckend ungebrochener Kontinuität historische Ausmaße angenommen habe. Wachsmuth: „Ein aktiver Gedenkort für jene, die auf der Flucht verstorben sind, ist sowohl ein Beitrag gegen das Vergessen als auch ein Hoffnungssymbol für eine Veränderung. In meinem Entwurf „VorAugen/In sight“ steht die Möglichkeit einer aktiven Erinnerung im Mittelpunkt. Dabei sollte der Gedenkort ein Zeichen für Inklusion und Beachtung sein, und zudem Gedenken und Trauer auf eine möglichst persönliche Art ermöglichen.“
Wachsmuth selbst hat 2015 angefangen, Direkthilfe für Menschen auf der Flucht zu leisten und dabei auch die Elendssituationen zu dokumentieren, beginnend an den Grenzen Österreichs, dann in Ungarn und Serbien, später in Griechenland und zuletzt in Bosnien. In seiner künstlerischen Arbeit beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit der Geschichtsaufarbeitung Österreichs. Seit 2013 wurde diese immer politischer und aktueller. Der Künstler: „In meiner fotografischen Arbeit war mir zunehmend bewusst, dass ich auch zu einem Zeitzeugen wurde.“
Die Materialien – graue Zementfaserplatten und rostbrauner Cortenstahl – stehen in ihrer Dialektik für Brüchigkeit und Beständigkeit. Die räumliche Anlage ermöglicht einen intimen, besinnlichen Moment der Andacht und Erinnerung. An der Gedenkwand, die in der Tradition einer „Klagemauer“ steht, werden zusätzlich zu den Namen der Verstorbenen und Vermissten auch Bezeichnungen für Familienzugehörigkeit, wie Mutter, Vater, Tochter, Bruder in einer korrespondierenden Sprache angebracht. Damit sollen, so der Künstler, Menschen, deren Namen wir nicht kennen, inkludiert werden.
„Zeichen der Menschlichkeit“
Murat Başer von der Islamischen Religionsgemeinde Linz für Oberösterreich und deren Erster Imam betonte bei der Vorstellung des Gedenkortes, dass die Krisen der letzten Jahre viele Menschen weltweit, insbesondere Muslime, auf oftmals lange und gefährliche Fluchtrouten bewegt hätten. Viele hätten dabei niemals ihr Ziel, eine sichere Unterkunft, frei von Krieg, Gewalt und Verfolgung, erreicht.
„Obwohl in der Islamischen Welt symbolische Gedenkorte in der Regel nicht bekannt sind, ist die Möglichkeit eines solchen, im Hinblick auf die Seelsorge für Hinterbliebene, eine begrüßenswerte Aktion. Ebenso darf es als eine respektvolle Geste betrachtet werden für jene Menschen, die auf der Flucht aus ihrer Heimat ums Leben kamen und keinerlei Grab oder Andenken besitzen. Hiermit wird ihren Angehörigen auch ein physischer Bezugspunkt ermöglicht, den sonst unter gewöhnlichen Umständen ein Grab ausmachen würde“, begrüßt Başer das Projekt.
Holger Jagersberger als Vertreter der Kulturdirektion der Landeshauptstadt Linz bezeichnete den Trauer- und Gedenkort für Menschen, die auf der Flucht verstorben sind, als „ein Zeichen der Menschlichkeit, das wir für die Hinterbliebenen setzen können. Am Stadtfriedhof Linz/St. Martin eine würdige Form zu finden, ist und war das Bestreben der Stadt Linz und vieler Träger der interreligiösen Projektgruppe.“
Auch Mario Wagenhuber, Bereichsleiter Friedhöfe und Bestattung der Linz Service GmbH, strich die Bedeutung des Gedenkortes hervor: „Die Naturfriedhöfe der LINZ AG sind Orte der Begegnung, der Erinnerung und für alle zugänglich. Wir sind sehr stolz darauf, zu diesem wichtigen Thema einen Beitrag leisten zu können und das Projekt „VorAugen/InSight“ von Arye Wachsmuth auf dem Stadtfriedhof Linz/St.Martin zu errichten.“
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