"Das Virus in uns": Autor und Filmemacher Kurt Langbein wirft einen etwas anderen Blick auf Corona
OÖ/NÖ. Mit „Das Virus in uns“ legen Bestseller-Autor und Filmemacher Kurt Langbein (“Bittere Pillen“) und Wissenschaftsjournalistin Elisabeth Tschachler ein Buch vor, dass die Corona-Krise von einer anderen Seite beleuchtet – mit kaum bekannten Fakten aus der Forschung, der Pandemie als Wissenschaftskrimi und auch was wir daraus lernen können. Tips-Chefredakteur Josef Gruber hat sich mit Langbein unterhalten.

Tips: Man hat den Eindruck, dass es bei der Corona-Pandemie nur Ängstliche auf der einen Seite und Verweigerer bzw. Verschwörungstheoretiker auf der anderen Seite gibt. Rechnen Sie damit, dass Sie durch das Buch zur zweiten Gruppe gezählt zu werden?
Langbein: Ich war auch zuerst erstaunt und dann eigentlich erschrocken, in welchem Ausmaß die Polarisierung schon nach kurzer Zeit da war. Unser Buch positioniert sich weder auf der einen, noch auf der anderen Seite, weil auf beiden Seiten die Vernunft und Evidenz verloren gegangen ist. Wir versuchen, so gut als geht die Maßnahmen auf ihren Plausibilitätsgehalt zu überprüfen und wie weit die Folgen dieser Maßnahmen berücksichtigt worden sind. Wir haben uns auf der anderen Seite auch zum Teil die ernsthaften Ansätze zur Kritik, die immer weiter ins Verschwörer-Eck gedrängten angeschaut. Dort gibt es ja auch Fachleute, die etwas verstehen davon. Das heißt, wer eine Partei für eine Seite erwartet, der ist bei dem Buch schlecht bedient.
Tips:Man den Eindruck, die vernünftige Mitte gibt es nicht mehr?
Langbein: Ja, die ist ganz schmal geworden. Es sind einige sehr beharrliche Virologen und Epidemiologen und Infektionswissenschaftler, die versuchen diese Position zu halten. In der Politik ist sie fast nicht vorhanden und leider in den Medien auch fast nicht.
Tips: Sie prangern im Buch die Verbotspolitik an. Was hätte da anders laufen sollen?
Langbein: Es gibt aus der Motivationspsychologie die alte Erkenntnis, wie menschliches Verhalten sinnvoll beeinflusst werden kann. Nämlich mit Überzeugung und Information. Eine Verbotspolitik löst zunächst natürlich ein konformes Verhalten aus. Aber sobald das Verbot aufgehoben wird, eine überschießende Reaktion. Ich glaube, das haben sich die Leute, die diese Verbote verhängt haben, nicht wirklich gut überlegt. Was dann passiert ist, war genau dieser Flashback: 'Aha jetzt ist es nicht mehr verboten, das heißt, keine Gefahr mehr da'. Natürlich ein Trugschluss, aber ein verständlicher und vor allem ein vorhersehbarer.
Tips:Wer war nicht lernfähig: die Politik oder die Bürger?
Langbein: Ich glaube, man muss den Bürgern die Chance zum Lernen geben und wir haben ja jetzt die Chance. Wir können uns jetzt ja auf einen vernünftigen, rationalen Alltag mit dem Virus einpendeln. Wir können darüber informieren, wie solche Infektionscluster entstehen und auch Überzeugungsarbeit leisten. Was mir bei der Politik abgeht, ist die Selbstkritik. Ich würde niemandem in dieser Situation vorwerfen, Fehler gemacht zu haben, weil das so schnell gegangen ist und in so einer Situation macht jeder Fehler. Aber Lernfähigkeit entsteht ja dann dadurch, dass man die Fehler nicht nur sich selber, sondern auch insgesamt einräumt und auch Schlussfolgerungen zieht. Das geht mir bei der österreichischen Politik leider ab.
Tips:Was hat Schweden besser gemacht, wie Sie schreiben?
Langbein: Schweden haben ebenso wie andere Länder wie Südkorea, Taiwan, Japan oder Hongkong auf den Lockdown verzichtet, das heißt, hat diese schwerwiegenden Konsequenzen für die Wirtschaft, das soziale Leben und dann natürlich die Gesundheit der Menschen, vermeiden können. Auch Arbeitslosigkeit hat ja enorme Auswirkungen auf die Gesundheit. Schweden hat aber am Anfang doch auch Fehler gemacht. Schweden hat am Anfang weitgehend auf das schnelle testen und das Nachverfolgen der Kontaktpersonen verzichtet und hatte damit eine relativ große Infektionswelle und in der Folge relativ viele Todesopfer vor allem in den Altenheimen. Schweden hat allerdings diese Fehler offen eingestanden. Und jetzt sieht es so aus – man weiß natürlich nicht wie es weiter geht - als hätte auch die Bevölkerung die Lektion gelernt.
Tips: Sie vergleichen Kollateralschäden in der Kriegsführung mit den Nebeneffekten der Maßnahmen? Ist das nicht sehr hart?
Langbein: Kollateralschäden sind sehr hart. Eine extrem weitgehende Verbotspolitik hat fast alle Grundrechte außer Kraft gesetzt und die Leute dazu verurteilt, ihre Geschäfte zu schließen und ihre Arbeit einzustellen. Das halte ich nicht für übertrieben, das mit Kollateralschäden zu vergleichen. Wir kennen jetzt einzelne Fakten, was die gesundheitlichen Folgen betrifft, weil ja alle anderen Medizinaktivitäten total runtergefahren wurden. Da gibt es im Bereich Herzinfarkte, im Bereich Diabetes jetzt schon sichtbare Folgen, die wahrscheinlich erst in den nächsten Jahren in Zahlen festzustellen sein werden. Es sind einige hundert demente Menschen gestorben, weil ihnen die Kontakte zu ihren Liebsten komplett verboten wurden – mehr als üblich, also offenbar Kollateralschäden. Und Langzeitarbeitslosigkeit ist überhaupt der Kollateralschaden schlecht hin, weil ein Langzeitarbeitsloser im Durchschnitt zehn Jahre kürzer lebt als ein beschäftigter Mensch. Das wird man auch in den nächsten Jahrzehnten deutlich merken und das ist eigentlich eine Katastrophe. Da ist viel nicht ausreichend mitbedacht worden bei den einseitigen Covid-Maßnahmen und ich glaube, da wäre auch eine Selbstkritik im Sinne der Glaubwürdigkeit der Politik eine feine Sache.
Tips:Was ist von Italien bis Ischgl schiefgelaufen?
Langbein: Wir haben uns natürlich sehr damit beschäftigt wie es sein konnte, dass es in einzelnen Ländern doch so deutlich mehr an Todesopfer gegeben hat als in den anderen und da hat ja Italien in Europa zumindest begonnen. Es gibt eine Reihe von Faktoren: Ein Faktor ist höchstwahrscheinlich, dass das Virus bereits im Herbst vergangenen Jahres seine Reise aus China begonnen hat. Da gibt es eine Reihe von Hinweisen und auch Belegen – etwa Proben aus dem Abwasser von Mailand und Turin, wo sich schon im Dezember nachweisen lässt, dass das Virus vorhanden war. Das hat dann dort einen 'glosenden' Effekt gehabt. Die Infektion hat sich allmählich verbreitet - das Virus ist ja nicht so infektiös, wie uns Glauben gemacht wurde - ohne das es jemand gemerkt hat. Es gab ja auch keine Tests und es gab keine öffentliche Wahrnehmung. Dann hat es sich aber im Jänner und Februar offenbar in Italien relativ schnell verbreitet. Infektiologen beschreiben das so ähnlich, wie wenn man ein Lagerfeuer macht. Zuerst brennt das Holz ein bisschen, und dann macht es plötzlich wusch und die Infektion verbreitet sich relativ schnell. Auch das ist noch unbemerkt geblieben. Erst als die Infektion in den Intensivstationen angekommen ist, wurden die ersten Tests gemacht. Da waren aber die Intensivstationen schon relativ voll und das Personal auch schon angesteckt. Das hat zum einen zu gespenstischen Bildern geführt - wobei manche davon auch manipuliert waren und darüber erzählen wir im Buch. Der nächste Effekt, der dazu gekommen ist, ist, dass die Behandlung unrichtig, wenn nicht sogar falsch war. Chloroquin und vor allem die Beatmung - von der alle gesagt haben, das sie die einzige Überlebensrettung sei, haben überwiegend zum Tod dieser Menschen geführt. Die Beatmung, so wie sie bei anderen schweren Lungenentzündungen oft sinnvoll eingesetzt wird, hat dazu geführt, dass das Lungengewebe schwer geschädigt wurde. Zwischen 60 und 80 Prozent der Intensivpatienten sind an der Beatmung gestorben. Das ist auch in New York nachgewiesen worden.
Ischgl ist in der ersten Welle der Verbreitung durch eine Kette von Versäumnissen, Ignoranz und bewusstem Wegschieben des Problems zum Haupt-Spreader von West- und Nordeuropa geworden. Da sind ja schon in der Zeit, wo die ersten Fälle nachweislich bekannt waren, in ganz Tirol nochmal hunderttausende Touristen ausgetauscht worden. Also Hunderttausend sind heimgefahren, darunter waren schon viele infiziert, und hunderttausend sind neu gekommen und fast die ganze Woche ist weiter gefeiert worden. Die zweite Welle ist dann eigentlich gegen die Bestimmungen des Epidemiegesetzes durch den Bundeskanzler höchstpersönlich nach Hause geschickt worden. Als er den Lockdown und die Quarantäne verkündet hat für Ischgl und St. Anton und benachbarten Bergregionen, hat er die ausländischen Gäste aufgefordert, das Land zu verlassen. Da sind viele tausende Infizierte in die Länder gefahren. In Deutschland ist mehr als die Hälfte der ersten Welle nachweislich auf Ischgl zurückzuführen, in Skandinavien recht viel und 57 Prozent auch in Österreich. Wir hätten ohne Ischgl so gut wie gar keine initiale Welle gehabt.
Tips:Sie schreiben, dass Viren wichtig sind bzw. im Kampf gegen Bakterien helfen könnten?
Langbein: Ja, das ist eine Erkenntnis der letzten zehn Jahre, wo ich jetzt das Glück hatte, hinein recherchieren zu können, gemeinsam mit Elisabeth Tschachler. Erst durch die Sequenziertechniken ist der Forschung aufgefallen, welch unglaublich breites Spektrum an lebensbegleitenden und lebensförderlichen Maßnahmen Viren eigentlich haben. Und zwar für alles Leben – für Pflanzen, für Tiere, für Menschen. Wir selbst haben hundertmal mehr Viren in uns als Körperzellen und leben mit denen in einer vernünftigen Balance. Sie halten die etwas problematischeren Bakterien in unserem Körper in Grenzen. Sie garantieren die Balance, dass das Verhältnis der günstigeren und weniger günstigen Bakterien in unserem Mikrobiom in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Sie sind für das Immunsystem unerlässlich und wir brauchen sogar einzelne Viren für unser Langzeitgedächtnis. 50 Prozent unseres gesamten Genoms fußt auf Viren, weil die Viren die Pioniere der Evolution waren, wie die Forscher mittlerweile annehmen oder sogar relativ sicher sind.
Tips: Sie schreiben auch, dass der Mensch die Wildtiere zurückdrängt und dass dadurch die Übertragbarkeit bzw. die Gefährlichkeit der Viren gestiegen ist?
Langbein: Die fortgeschrittensten und weitesten entwickelten Ansätze der Virologie gehen immer der Wurzel der Pandemie auf den Grund und versuchen drauf zu kommen, wie diese entstehen. Das sind sogenannte Zoonosen, das heißt, Viren, die mit bestimmten Tieren im Einvernehmen in Balance leben springen eben auf andere Tiere oder auf den Menschen über und irgendwann kommt es dazu, dass dann von Mensch zu Mensch weiter übertragen werden kann. Eher ein zufälliger Prozess, aber dann wird es ernst. Diese Zoonosen, das ist ausreichend erforscht, werden ausschließlich durch das menschliche Verhalten verursacht. Wir reduzieren die Artenvielfalt auf eine irrwitzige Weise, wir drängen sie durch die Zerstörung der natürlichen Lebensräume in immer kleinere Reservate. Evolutionär bleibt dann dem Virus gar nichts anderes über, als sich einen neuen Wirt zu suchen. Eine kluge Pandemiebekämpfung setzt dort an, wo die Pandemien entstehen. Die Forscher nennen das 'One Health', also eine Gesundheit für Tiere, Pflanzen und Menschen. Das ist die einzige Chance, mittel- und langerfristig die Pandemien wirklich in den Begriff zu bekommen. Sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Pandemie entsteht und die kann noch viel schlimmer werden als diese. Da treffen sich eigentlich die Bemühungen um Klimaschutz mit denen um den Pandemieschutz und da wären alle Regierungen gut beraten, sehr viel Energie und Entschlossenheit hineinzubringen. So wie sie es jetzt gezeigt haben, in der Einschränkung der Freiheitsrechte.
Tips:Die Wirtschaft liegt jetzt schon danieder und es wird noch schlimmer werden, prognostizieren Experten. Wie soll jetzt der Neuanfang gelingen?
Langbein: Ich bin jetzt nicht der Zauberwutz, der für alles ein Rezept hat. Wo ich aber sicher bin ist: Zum Einen wir müssen lernen, mit dem Virus auf eine vernünftige und rationale Art zu leben. Dazu gehört auch eine vernünftige Risikoeinschätzung. Wir müssen Covid auch in Relation setzen zu anderen schwerwiegenderen Gesundheitsrisiken mit denen wir umgeben sind. Vielleicht können wir diese gesteigerte Aufmerksamkeit einem Risiko gegenüber ausweiten und sagen: Dann lass uns doch auch anschauen, wie Diabetes entsteht und lass anschauen, wie die schweren bakteriellen Lungenentzündungen entstehen und was wir da tun können, um das zu reduzieren. Was die Wirtschaft betrifft, würde ich drauf hoffen, dass die Regierung diese Versprechen, die sie gegeben hat, in den Krisenhilfen auch tatsächlich einhält. Das wird aber die Krise nicht wirklich auffangen können. Wir stehen wirklich vor der schwerwiegendsten Wirtschaftskrise seit dem 2. Weltkrieg.
Tips:Hat sich seit Ihrem Bestseller „Bittere Pillen“ etwas geändert?
Langbein: Die Arzneitherapien sind gezwungenermaßen etwas rationaler geworden, weil die Behörden doch viel genauere Zulassungsbestimmungen stellen und die Einhaltungsbestimmungen zumindest teilweise kontrollieren. Die Abhängigkeit des Medizinbetriebs von der Pharmaindustrie hat sich leider nur unwesentlich verändert. Es ist kein Zufall, dass wir Medizin mit Pillen quasi fast gleichsetzen. Das ist eigentlich nur ein kleiner Teil einer guten Medizin. Natürlich gibt es auch gigantische Fortschritte in allen Bereichen die beachtlich sind, aber es ist nach wie vor so - um dann wieder zum Thema Covid-19 zu kommen, dass es hochsinnvoll ist, dass wir uns Zeit lassen bevor wir eine Impfung massiv einsetzen. Es ist kein Zufall, dass Impfstoffe bisher über Jahre getestet wurden. Ich fürchte mich eher davor, dass die Impfungen zu früh auf den Markt geworfen werden, weil der Druck der Politik so groß ist. Das heißt aber umgekehrt, dass dieses ständige Hoffnung machen auf die Impfung eigentlich trügerisch ist. Außerdem wird uns die Impfung nicht befreien, weil auch noch nach einem Jahr maximal die Hälfte der Bevölkerung geimpft sein wird - und das wäre schon sehr viel. Und dann haben wir aber immer noch das Leben mit diesem Virus.
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