Liu Jia: „Ich habe eine Vision für ein Sportkulturland Oberösterreich“
LINZ. Tischtennis-Legende Liu Jia spielte im Sommer ihre letzten Olympischen Spiele. Als erste Frau Österreichs ging die Sportlerin sechsmal bei Olympia an den Start. Nun macht die Froschberg-Athletin Schluss. Ursprünglich wollte die 39-Jährige ihre Nationalteam-Karriere komplett beenden. Im Gespräch mit Tips kündigt sie allerdings eine Europameisterschafts-Teilnahme an. Warum sie sich dafür entschieden hat, wie sie auf Tokio zurückblickt und vieles Weitere verrät sie im Interview mit Tips.
Tips: Wie bewerten Sie Ihre Leistungen bei den Olympischen Sommerspielen im Nachhinein?
Liu Jia: Im Team hatten wir Pech mit der Auslosung, da wir gegen den Olympia-Sieger (China, Anm.) spielten. Im Einzel brachte ich konstante Leistungen, es war jedoch schade, dass es mit meiner Verletzung (Bandscheiben, Anm.) so enden musste (Achtelfinale, Anm.). Aber ich habe trotzdem zuvor fünf Spiele gespielt. Es war im Großen und Ganzen in Ordnung.
Tips:Sie hatten angekündigt, dass die sechste Olympia-Teilnahme Ihr letzter Nationalteam-Einsatz ist – bleibt es dabei?
Jia: Einzelbewerbe werde ich definitiv nicht mehr mitmachen, weil dafür habe ich keine Motivation mehr. Aber wir haben jetzt einen neuen Präsidenten im Tischtennis-Verband (Wolfgang Gotschke, Anm.) und der bat mich, die neue Mannschaft zu unterstützen. Daher habe ich für die Team-EM in Rumänien zugesagt. Ich habe viel erreicht in meiner Karriere und eigentlich wäre es ein guter Zeitpunkt, diese zu beenden. Aber wenn mich die Mannschaft braucht, lasse ich sie nicht im Stich. Da kann ich schwer Nein sagen.
Tips:Wie schaffen Sie es nach so langer Zeit mit derart vielen Erfolgen, sich immer wieder neu zu motivieren?
Jia: Ich trainiere nur mehr gezielt und nicht mehr jeden Tag. Aber wenn man etwas sehr gut kann, macht es immer Spaß. Natürlich ist es mit all diesen Verletzungen hart für den Kopf und man fragt sich „Will man sich sowas noch antun?“. Aber man hat eine gewisse Verantwortung gegenüber der Mannschaft. Verantwortungsbewusstsein spielt eine große Rolle.
Tips: Treibt Sie vielleicht auch ein Stück weit die Dankbarkeit über die Möglichkeit, die man Ihnen hier in Österreich gegeben hat, an?
Jia: Ja! Ich bin von Herzen sehr dankbar. Gott hat mich hierher geschickt. Ich habe an keinem einzigen Tag hier in Österreich etwas Schlechtes erlebt. Ich möchte aber nicht nur sportlich etwas zurückgeben, sondern ich gebe alltäglich überall in der Gesellschaft mein Bestes. Ich bin eine öffentliche Person und damit ein Vorbild. Ich bin auf jeden Fall bemüht, Österreich bestens zu repräsentieren. Das macht mich am meisten stolz.
Tips: Gibt es ein Ziel, das Sie unbedingt noch erreichen wollen?
Jia: In zwei Wochen spielen wir die Europameisterschaft in Rumänien. Mit der jetzigen Mannschaft können wir auf jeden Fall etwas gewinnen. Zudem möchte ich mit Froschberg den Champions-League-Titel (November, Anm.) holen. Das Schöne ist, dass das Nationalteam auch unsere Champions-League-Mannschaft ist, wir trainieren hier tagtäglich zusammen und können miteinander etwas Schönes gewinnen.
Tips: Sie kamen 1997 aus China (Peking) nach Österreich – wie sehr haben sich die Strukturen im Tischtennis in Österreich verändert?
Jia: Als ich 1997 hierher kam, war es schockierend. Da wurde Tischtennis wie ein Hobby betrieben. Wir hatten keine fixen Hallen. Es wurde wirklich von Jahr zu Jahr professioneller. Der Schritt vom österreichischen Meister zum Champions-League-Sieger war ein Riesensprung. Dass die Profi-Mannschaft vormittags und nachmittags Training hat, von einem Profi-Trainer tagtäglich betreut wird, war früher nicht so. Der Wunsch des Vereins ist natürlich, dass der Nachwuchs hinterher kommt. Dazu machen sich die Vereinsfunktionäre viele Gedanken.
Tips: Haben Sie noch einen Wunsch, was sich im Tischtennissport ändern sollte bis zu Ihrem Karriere-Ende?
Jia: Also solange ich noch aktiv spiele, mache ich mir darüber eher wenig Gedanken. Aber grundsätzlich habe ich schon eine Vision für ein Sportkulturland Oberösterreich. Gewisse Ergänzungen wären spannend. Ich würde gerne eine gewisse Sportkultur im Kindesalter sehen. Dass wir eine breite Sportkultur haben, aus der dann sicher auch in Zukunft ein paar Olympia-Sieger kommen.
Tips: Was ist Ihrer Meinung nach der wichtigste Faktor, um Olympia-Teilnehmer für die Zukunft zu erschaffen bzw. auszubilden?
Jia: Ich glaube, dass wir einen starken Tischtennisverband haben und viele Trainer rund um die Uhr für die Kinder arbeiten. Außerdem sind Ziele wichtig, um nicht nur dahin zu trainieren. Man sollte nicht nur auf Zufälle hoffen, sondern gezielt auf etwas hin trainieren.
Tips: Stichwort Sportland Oberösterreich – sehen Sie da noch viel Potenzial?
Jia: Ja, aber wie! Ich finde es traurig, wenn man in den Schulen immer gleich beim Sport kürzt. Das macht null Sinn. Die Kinder brauchen Bewegung und wollen sich bewegen. Wir haben genug Kinder, die ambitioniert, motiviert und talentiert sind. Wir brauchen natürlich gute Rahmenbedingungen. Es geht nicht immer gleich um Spitzenleistungen, sondern um den Spaß an der Bewegung. Es muss nicht jeder Olympia-Sieger werden.
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