Kaineder: "Die Gefahren der Atomkraft machen nicht an Grenzen halt"
LINZ/OÖ. Vor 34 Jahren, am 26.April 1986, kam es im ukrainischen AKW Tschernobyl zu einem katastrophalen Unfall. Aber auch heute ist die Atomkraft noch in aller Munde. Viele AKWs sind aktuell veraltet, dennoch sollen Laufzeitverlängerungen vorgenommen werden, berichtete Landesrat Stefan Kaineder im Rahmen einer Pressekonferenz. Er fordert, etwa betreffend Temelin, gestützt auf ein Rechtsgutachten, eine grenzüberschreitende UVP und allgemein den schrittweisen, europaweiten Atomausstieg.

34 Jahre ist es her, dass es zur Nuklearkatastrophe von Tschernobyl kam. Gerade von diesem AKW ist aktuell wieder viel in die Schlagzeilen zu lesen: denn seit drei Wochen wüten Waldbrände in der Sperrzone und es besteht die Gefahr, dass erneut Radioaktivität freigesetzt wird. Das Problem: Die Löscharbeiten gestalten sich durch die starke Trockenheit als schwierig. In den vergangenen Tagen seien außerdem schon Spuren von Cäsium-137 außerhalb der Zone in der Ukraine gemessen worden.
Doch trotz des Risikos, dass mit Atomkraft verbunden sei, werden von der Atomindustrie Laufzeitverlängerungen bei einigen europäischen Atomkraftwerken geplant, die an das Ende der geplanten Betriebszeit gelangen - so auch im benachbarten Tschechien.
„Tschernobyl hat uns gezeigt, die Gefahren der Atomkraft machen nicht an Grenzen halt, Atomkraft ist lebensgefährlich. Leider vergisst der Mensch viel zu schnell, anders ist die angestrebte Laufzeitverlängerung für das AKW Temelin auf 60 Jahre nicht zu erklären. Studien zeigen das massive Risiko der derzeitigen Praxis von Laufzeitverlängerungen auf. Es braucht einheitliche Standards in der EU zur Begrenzung der Laufzeit und damit des steigenden Risikos“, so der grüne Landesrat Stefan Kaineder.
Hohes Risiko durch Alter
Die Verlängerungen würden deswegen ein hohes Risiko mit sich bringen, weil die Anlagen nicht darauf angelegt seien. Außerdem hätten teilweise bereits Leistungserhöhungen auf Kosten der Sicherheitsreserven durchgeführt werden müssen.
Betreffend der von Kaineder geforderten EU-Regelungen brauche es etwa eine verpflichtende grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfungen mit Beteiligung der Bevölkerung der Nachbarstaaten im Fall eines Antrags auf Laufzeitverlängerung. Außerdem brauche es eine Minimierung der Laufzeit mit einer maximalen Obergrenze. Vor allem die grenzüberschreitende UVP würde Transparenz und auch eine Kontrollmöglichkeit durch externe Experten ergeben.
Temelin: Vorbereitungen für Verlängerung laufen
33,4 Jahre beträgt das Alter der Atomkraftwerke im EU-Durchschnitt. Mehr als 31 Jahre sind 72 Prozent der Reaktoren bereits in Betrieb. Trotz des hohen Alters will die Atomindustrie in einigen Ländern, beispielsweise in Tschechien, in der Slowakei, Ungarn, Schweden und Belgien, die Laufzeit verlängern.
Auch für das im benachbarten Tschechien stehende AKW Temelin laufen die Vorbereitungen für eine Verlängerung der Laufzeit. Ende März seien die Unterlagen dafür bereits eingereicht worden. Die betroffenen Blöcke wurden in den Jahren 2000 und 2002 in Betrieb benommen. Die Betriebsgenehmigung für den ersten Block läuft im Oktober 2020 aus, jene für den zweiten zwei Jahre später.
Problematisch sei bei Temelin, dass es nach den Konzepten der 70er Jahre errichtet und bereits bei der Errichtung veraltet gewesen sei. Mehrfach kam es vor Ort zur Störfällen, etwa durch die nur bedingt kompatible russische Hardware mit westlicher Software.
Bisher habe es nur Verlängerungen von zehn Jahren für die Betriebsgenehmigung gegeben. Aktuell werde aber befürchtet, dass es zur Ausstellung einer unbefristeten Betriebsgenehmigung kommt. Für die Temelin-Blöcke würde der Betreiber CEZ Betriebsdauern von 2060 bis 2062 nennen. Derartige unbefristete Verlängerungen habe es in der Vergangenheit bereits gegeben - etwa beim tschechischen AKW Dukovany.
Rechtsgutachten: Temelin muss einer UVP unterzogen werden
Ein Gutachten des Instituts für Umweltrecht an der JKU Linz beschäftigte sich nun mit den rechtlichen Möglichkeiten in diesem Bereich, die sich aufgrund eines Präzedenz-Urteils des EuGH ergeben würden. Konkret geht es um das EuGH-Urteil vom 29. Juli 2019. In dem von belgischen NGOs angestrebten Verfahren gegen die Laufzeitverlängerung bei den belgischen Atomkraftwerken Doel 1 und 2 erkannte dieser, dass diese Laufzeitverlängerungen UVP-pflichtig und auch nach Aarhus- und Espoo-Konvention sowie FFH-RL genehmigungspflichtig seien.
Nachdem die tschechische Regierung schon beim AKW Dukovany keine grenzübschreitende UVP durchgeführt hat (hierbei hat dass Ökobüro schon damals das völkerrechtswidrige Verhalten Tschechiens in einem Aarhus Convention Compliance-Verfahren gerügt, die Entscheidung steht aber noch aus), wollen diese auch in der Causa Temelin auf eine derartige Prüfung verzichten.
Die Genehmigung solle demnach nach dem tschechischen Atomgesetz erfolgen, wobei nur der Antragsteller auch Parteistellung hat. Laut dem tschechischen Standpunkt seien Laufzeitverlängerungen und Betriebsgenehmigungsverlängerungen nämlich nur formale Sicherheitskontrollen. Sie sollen über den Betrieb des AKWs informieren und hätten keine Auswirkung auf die Umwelt.
Laut der Analyse des Instituts sei genau das aber europarechtswidrig. Denn in dem bereits genannten EuGH-Urteil habe der Gerichtshof in der technischen Modernisierung des Atomkraftwerks, die mit einer Laufzeitverlängerung notwendigerweise verbunden waren, ein UVP-pflichtiges Projekt gesehen.
Die Studie des JKU-Instituts komme zu dem Ergebnis, dass die in dem Urteil genannten Gründe auch bei der Betriebsgenehmigung von Temelin und bei den Laufzeitverlängerungen von Dukovany maßgebliche Bedeutung haben. Denn wie bei der Laufzeitverlängerung komme es auch bei der Betriebsgenehmigungsverlängerung zu Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit. Diese hätten im Zeitpunkt der Erstgenehmigung nicht beurteilt werden können.
„Das vorliegende Rechtsgutachten stützt dabei die Forderung nach einer verpflichtenden grenzüberschreitenden UVP bei Laufzeitverlängerungen von AKWs und ich werde dieses an die Europäische Kommission übermitteln. Wir appellieren an die Bundesregierung alle Hebel in Bewegung zu setzen, dass sich Europa auf einen schrittweisen Atomausstieg zubewegt und eine UVP für das AKW Temelin einzufordern. Abschaltung ist die einzige Form der Sicherheit bei dieser Hochrisikotechnologie“, betont Kaineder
Umfrage bestätigt Antiatom-Konsens bei der Bevölkerung
Zum Thema Atomkraft wurde vor kurzem auch eine Umfrage des market Marktforschungsinstituts veröffentlicht. In Auftrag gegeben wurde sie von „atomstopp_oberösterreich“. Dabei wurde die Einstellung der österreichischen Bevölkerung in Bezug auf Atomkraft hingerfragt.
In dieser wurde zunächst der breite Antitatom-Konsens des Bevölkerung bestätigt, allerdings lässt die Studie auch aufhorchen: denn bei der jungen Generation, vor allem bei jungen Männern, würde das Thema Atomkraft deutlich weniger kritisch betrachtet werden. Die Atomindustrie würde hier vor allem versuchen, sich über das Thema Klimaschutzbemühungen wieder einzubringen, heißt es in einer Aussendung von Stefan Kaineder dazu.
Dieser gibt aber zu Bedenken: “Klimawissenschafter bestätigen seit Jahren, dass zur Bewältigung der Klimakrise möglichst schnell und kosteneffizient CO2 eingespart werden muss – und dabei kann die Atomkraft keinerlei Beitrag leisten. Sie ist zu teuer, zu langsam und zu gefährlich! Mehr noch: Die Atomenergie ist ein schwerer Schaden für den Klimaschutz, denn sie ist völlig unwirtschaftlich und bindet Milliarden, die für die Energiewende zu Erneuerbaren und Energieeffizienz fehlen!“
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