Digitaler Transformation, Wertewandel und Multikrisen: Was die Werbebranche in diesen Zeiten erfolgreich macht
OÖ. Wie bleibt die Werbe- und Kommunikationsbranche in Zeiten digitaler Transformation, Wertewandel und Multikrisen erfolgreich? Mit diesen Fragen startete die Fachgruppe Werbung und Marktkommunikation der WKOÖ bei ihrer Netzwerk-Arena mit knapp 100 Gästen ins Jahr 2025.

„Unsere Welt verändert sich in unglaublicher Geschwindigkeit und wir in der Werbebranche sind mitten drinnen“, setzt Fachgruppenobmann Christoph Schumacher den Rahmen für die Vorträge bei der jüngsten Netzwerk-Arena. „Die Anforderungen und Herausforderungen ändern sich rasend schnell. Märkte, Nutzen, Entscheidungswege, Kommunikationstools: Alles ist in Bewegung. Und das Ganze begleitet von digitaler Transformation, Multikrisen und Sinnfragen. Dazu brauchen dazu die richtigen Antworten“, so Schumacher. „Die Netzwerk-Arena der Fachgruppe Werbung und Marktkommunikation ist dafür genau das richtige Format für Impulse, Inspiration und Erfahrungsaustausch.“
Herausfordernd und schwierig
In einer aktuellen Mitgliederbefragung skizzierten über 200 Unternehmen ihre Einschätzung der aktuellen Marktsituation: Die Zeit wird als herausfordernd und schwierig wahrgenommen. Die Neukundengewinnung sei dabei ebenso eine Herausforderung wie die Positionierung des eigenen Unternehmens in dem sich rasant ändernden Umfeld. Künstliche Intelligenz (KI) ist dabei massiver Treiber der Veränderung, mit allen damit verbundenen Chancen und Risken. „Hier setzen wir stark auf die Innovations- und Kooperationskraft der Branche“, sagt Schumacher.
Die zweite Perspektive zu den fundamentalen Veränderungen für die Werbebranche nimmt Christian Scharinger mit seinem Vortrag ein. Der Gesundheitssoziologe und Historiker berät und begleitet Unternehmen in Zeiten der Transformation. Und diese Transformation habe es gerade für die Werbebranche in sich.
Das Ende der Linearität
„Die Welt von heute ist völlig anders als noch vor wenigen Jahren: Eine jahrzehntelange Phase der linearen Entwicklung hat unser Leben berechenbar gemacht. Binnen kurzer Zeit ist sie in eine Welt der exponentiellen Entwicklungen gekippt.“ Und dieser Paradigmenwechsel der Wirkungszusammenhänge sei für uns alle, gelinde gesagt, sehr anstrengend, weil die bisherige Logik nicht mehr greife, so Scharinger. Die einfachen direkten Wirkungszusammenhänge wurden von multilateralen und vernetzten Einflussfaktoren abgelöst. Es brauche ein massives Umlernen.
Kein starkes „Ich“ ohne starkem „Wir“
Eine der vielen Auswirkungen dieser Entwicklung: ein völlig verändertes Bild von Arbeit. Arbeit werde in unserer Zeit viel zu oft negativ gesehen, ist Christian Scharinger überzeugt. Es müsse zu denken geben, wenn heute laut Studien etwa 20 Prozent der Menschen, die in Homeoffice arbeiten, eigentlich nicht mehr zurück ins Büro wollen.
Dies sei ein Spiegelbild, wie sich Ökonomie in den vergangenen Jahren verändert habe. Waren wir noch kürzlich mitten in der Produktionsökonomie verhaftet, die vor allem die Effizienzsteigerung und Standardisierung in den Mittelpunkt gerückt hatte, so sind wir heute in der Identitätsökonomie, die klar von der Individualisierung geprägt ist. Es geht um das „Ich“ als Marke, um die individuellen Bedürfnisse. Die Kernfrage laute in der Identitätsökonomie nicht mehr: Was werde ich als Nächstes tun? Sondern vielmehr: Wer möchte ich als Nächstes sein? „Doch gleichzeitig streben wir, so paradox das sein mag, nach emotionaler Bindung in einer Gruppe, nach einem starken 'Wir', nach einer starken Vernetzung. Und genau hier liegt die zentrale Frage für Erfolg oder Misserfolg: Wer es schafft, Individualität und eine Gruppe mit starker emotionaler Bindung bestmöglich zu vereinen, der wird vorne sein und Erfolg haben. Die anderen werden scheitern“, ist Christian Scharinger überzeugt. Die skandinavischen Länder seien hier Vorbild: Sie würden sehr stark darin sein, Individualität und starke Gruppenbindungen zu schaffen. Und seien so wenig überraschend bei Rankings zu zentralen Größen wie Bildung, Glück oder Wohlbefinden regelmäßig ganz vorne zu finden.
Vier Hebel seien in der Identitätsökonomie laut Scharinger entscheidend:
- Digitalisierung: Sie schaffe enorme Effizienzpotentiale – wenn man sie richtig anwendet. Denn ein schlechter Prozess wird auch digital nicht zum guten Prozess. Effizienz bleibe aber weiterhin ein zentraler Erfolgsfaktor. Mit KI sind enorme Verbesserungspotentiale verbunden. Aber nicht nur das, sie eröffnet auch völlig neue Geschäftsmodelle und Möglichkeiten.
- Denken und Agieren in Ökosystemen: Unternehmen sind in soziale Netzwerke eingebettet. Wer sich rein über seine Produkte oder Leistungen definiere und diese Zusammenhänge ignoriere, werde zwangsläufig scheitern, zitiert Scharinger den früheren Google-Spitzenmanager Eric Schmidt. Dieses Agieren in Ökosysteme brauche eine neue Beziehungsgestaltung zu Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten oder Entscheidungsträgern.
- Emotionale Bindung: „Sie ist das Zaubermittel in Zeiten der Krisen, Unsicherheiten und Ängsten. Und in Zeiten der örtlichen Distanzen durch Homeoffice und virtuelle Welten“, betont Christian Scharinger. Emotionale Bindung mit dem Unternehmen, mit dem Team, mit der Marke mache den Unterschied. Eine zentrale Rolle spiele die Präsenz. Ohne Anwesenheit keine positive emotionale Wirkung.
- Strapazierfähigkeit: Das sei deutlich mehr als nur Resilienz, also eine Widerstandsfähigkeit in ruppigen Situationen oder Zeiten. Christian Scharinger nennt dazu den HERO-Ansatz: Hoffnung verspüren, effizient arbeiten, Resilienz stärken und Optimismus leben. Daraus entstünde in einem Unternehmen eine ausgeprägte Strapazierfähigkeit und Robustheit, sich von Herausforderungen nicht treiben zu lassen, sondern sie positiv zu meistern bzw. zu nützen.
Scharinger gibt dem Netzwerk-Arena-Publikum eine abschließende Frage mit, um diese gleich selbst zu beantworten: „Warum wird die Welt zu einem besseren Ort? Weil es Ihr Unternehmen gibt! Sehen und leben Sie Ihr Unternehmen so.“
Angespannte Marketingbudgets, steigender Begründungsbedarf
Fachjournalistin Nora Halwax von der Zeitschrift HORIZONT gilt als Kennerin der Werbebranche über die Grenzen Österreichs hinaus und sieht 2025 für die Werber als herausfordernd und chancenreich zugleich. Die Marketingbudgets würden aktuell schrumpfen und der Fachkräftemangel mache auch vor der Werbebranche nicht halt, Google wäre beim Budget ein starker Mitbewerber und die zunehmend fragmentierten Zielgruppen wären immer schwieriger zu erreichen.
Gleichzeitig würden die kommenden Monate aber auch große Chancen für die Werbebranche bringen: Das Thema Nachhaltigkeit habe, so Halwax, in der Gesellschaft einen enormen Stellenwert und Unternehmen müssten glaubhaft transparent machen, welche Beiträge sie hier leisten würden – das brauche Kommunikations- und Positionierungsprofis. Weiters würde der Werbemarkt allen Unkenrufen zum Trotz weltweit weiter wachsen – alleine heuer um stolze acht Prozent.
Die KI umarmen und nicht wegducken
Marketingverantwortliche würden als Folge von KI eine Reduktion der Marketingbudgets erwarten. Gleichzeitig sei KI aber nicht nur eine potenzielle Erfolgsbarriere, sondern für Werber auch ein echter Erfolgsbooster. Sie könne wichtige erste Impulse ausarbeiten und so die Basis für wirksame Werbeideen sein. „Die oft zitierte Angst vor dem leeren weißen Blatt ist damit endgültig Vergangenheit!“ Halwax ist überzeugt, dass KI gute Grundlagen in der Werbung liefert, dass aber erst menschliche Innovationskraft die Nummer-Eins-Kampagne sei.
Die Entwicklung ginge klar in spezialisierte Anbieter mit modular aufbaubaren starken Netzwerkpartnern. Wichtig sei, an der KI-Kompetenz der Mitarbeiter zu arbeiten und diese das volle Potenzial nützen zu lassen. „Wir sollten die KI umarmen und uns nicht wegducken wollen“, so Halwax. Denn das ginge in jedem Fall schief.
Auch Fachgruppenobmann Christoph Schumacher findet zum Abschluss klare Worte: „Wir Unternehmer sind nach bald fünf Jahren Krisenhandling gestählt und haben gelernt, dass diese Zeiten der Umwälzungen sehr fordern sind, aber gleichzeitig auch enorme Chancen mit sich bringen.“
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