„Vor lauter Feuer wissen wir nicht, wo wir mit dem Löschen beginnen sollen"
BEZIRK/ST. STEFAN-AFIESL. Die Ansprüche an moderne Kindergärten sind hoch. Waren sie früher eher „Aufbewahrungs-Einrichtungen“, so sollen die Kindergärten heute viele soziale, aber auch pädagogische Aufgaben erfüllen. Die Rahmenbedingungen dafür werden aber immer prekärer, wie Kindergartenpädagogin Irene Kitzberger die Situation ihrer Kollegenschaft im Bezirk Rohrbach erklärt.
Irene Kitzberger führt aktuell einen zweigruppigen Kindergarten in St. Stefan-Afiesl und kennt die Herausforderungen, mit denen Kindergärten konfrontiert sind: „Das größte Problem ist aktuell der unpassende Betreuungsschlüssel und die daraus resultierenden zu großen Kindergruppen. Eine Pädagogin und eine Helferin sind momentan im Regulärbetrieb für 23 Kinder zuständig. Da kann man sich unmöglich jeden Tag für jedes Kind Zeit nehmen. In anderen Einrichtungen, in denen die räumlichen Rahmenbedingungen einschränkend sind, oder in Städten ist die Gesamtsituation oft noch zugespitzter. Corona verstärkt diese Problematik deutlich“, so Kitzberger.
Pandemie verstärkt Probleme
Nicht nur etwaige Krankenstände im Betreuerinnen-Team müssen aktuell kompensiert werden, auch die psychische Belastung der Kinder durch die Pandemie sei verstärkt zu spüren und würde mehr Auseinandersetzung mit den Sorgen der Kinder erfordern. „Ich habe das Gefühl, wir sind in dieser Hinsicht wie die Feuerwehr, die vor lauter Bränden nicht weiß, wo sie mit dem Löschen anfangen soll. Für die großen Feuer muss man sich kurz Zeit nehmen, auf die kleineren können wir aber kaum Rücksicht nehmen. Da die Kinder mit drei Jahren bei Konflikten im sozialen Gefüge Unterstützung benötigen und wir sie bei Konflikten konstruktiv begleiten wollen, bleibt dann anderes auf der Strecke, da dies die meiste Zeit in Anspruch nimmt.“
Viel Zeit bleibt auch für die Bürokratie und Dokumentation auf der Strecke. Diese fehlt dann bei der weit wichtigeren Vorbereitung für die Kinder.
Stresslevel wie ein Manager
Zusätzlich würden die großen Gruppen auch viele Kinder überfordern, so die erfahrene Pädagogin: „Je nach Temperament des Kindes äußert sich Überforderung. Das kann Rückzug oder Aggression sein. Es gibt Studien, dass große Kindergruppen Stresslevel in den Kleinen erzeugen, die auch bei Managern nachgewiesen wurden. Und man muss sich selbst einmal als Erwachsener in die Kinder hineinversetzen. Kaum einer würde sich in einer lauten, so großen Gruppe einen ganzen Vormittag oder gar Tag lang wohlfühlen.“
Wie der Betreuungsschlüssel optimal wäre, konnte Kitzberger bereits persönlich in einer privaten Einrichtung erfahren, in der sie früher tätig war. Damals habe sie eine Gruppengröße von 18 Kindern, für die drei Betreuungspersonen zuständig waren, als ideal empfunden.
Anerkennung fehlt
Schuld an dieser Misere ist aber auch mangelnder Personalnachwuchs. Gleich mehrere Ursachen ortet Irene Kitzberger dafür: „Einerseits erkennt gerade die Politik unseren Beruf zu wenig an. Außerdem stimmt die Entlohnung im Verhältnis zu dem, was wir für die Zukunft unserer Gesellschaft tun, überhaupt nicht, vor allem nicht bei Leitungsfunktionen. Und dann wäre da noch die Ausbildung, die meiner Meinung nach zu früh beginnt. Man entscheidet sich ja schon mit 14 Jahren für die Ausbildung und gerade in dieser Lebenszeit passiert noch eine Menge. Ein sehr großer Teil jener Schüler, die eine Schule für Elementarpädagogik besuchen, geht danach eben nicht in einen Kindergarten. Das habe ich in meiner eigenen Klasse erlebt – von 27 Absolventinnen wurden nur drei sofort Kindergartenpädagoginnen.“
ÖGB und AK wiesen auf Problematik hin
Anlässlich des Tages der Elementarpädagogik am 24. Jänner machte der ÖGB Rohrbach auf die große Belastung in den Einrichtungen aufmerksam. „Es ist an der Zeit, dass die Beschäftigten nicht nur gehört, sondern mit ihren Anliegen auch ernst genommen werden“, sagt Rohrbachs ÖGB-Frauenvorsitzende Manuela Wundsam. „Es muss sich schleunigst etwas ändern, denn immer mehr Menschen in den Kinderbildungs- und Betreuungseinrichtungen denken ans Aufhören.“ Die Gewerkschaften GPA und Younion übergaben am Tag der Elementarpädagogik in Linz eine Petition mit dringenden Forderungen an Landeshauptmann-Stellvertreterin und Bildungs-Landesrätin Christine Haberlander (ÖVP).
Die Arbeiterkammer Oberösterreich ortet ob der aktuellen Rahmenbedingungen gar ein drohendes Systemversagen auf Kosten der Kinder. Eine Befragung der AK unter ihren Mitgliedern ergab: Die Gruppengrößen werden von 735 Kindergarten-Mitarbeitern (83,7 Prozent, es gab insgesamt 878 gültige Antworten) als zu hoch eingeschätzt. Dazu kommt: Mehr als drei Viertel der Pädagogen in Leitungsfunktion berichten, dass sie viel zu wenig Zeit für ihre Leitungsaufgaben haben. Grund dafür ist deren Doppelbelastung. Nur selten sind die Betroffenen freigestellt, oft erfüllen sie die Leitungsfunktion neben ihrer pädagogischen Arbeit in der eigenen Gruppe.
Ein Schatz fürs Leben
Was sich Irene Kitzberger für ihren Beruf und ihre Kollegenschaft wünscht? „Wir haben eine ganz, ganz wichtige Aufgabe, denn im Alter bis sechs, sieben Jahren wird das Fundament für das ganze weitere Leben geschaffen. Man kann Kindern einen Schatz mitgeben, aus dem sie ihr ganzes Leben lang schöpfen können. Deshalb ist es auch essenziell, dass wir uns auf die Füße stellen und uns trauen zu sagen: Wir sind wichtig!“
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