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Stephansharterin unterwegs entlang der „Balkanroute“

Michaela Aichinger, 01.02.2025 19:03

STEPHANSHART. Gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation SOS Balkanroute hat die Österreichische Hochschüler:innen-schaft eine einwöchige Fahrt entlang der „Balkanroute“ durch Bosnien und Herzegowina organisiert. Eine der Teilnehmenden, Musikstudentin Pia Dietl aus Stephanshart, lernte dabei nicht nur Land, Leute und die Arbeit von SOS Balkanroute besser kennen, sondern auch eines: Wir haben großes Glück, in einem friedlichen Land mit funktionierendem Sozialstaat geboren zu sein.

Pia Dietl (3. v. r.) mit ihrer Gruppe auf einer besonderen Reise (Foto: SOS Balkanroute)
  1 / 6   Pia Dietl (3. v. r.) mit ihrer Gruppe auf einer besonderen Reise (Foto: SOS Balkanroute)

Erst kurz vor Anmeldeschluss hat Dietl die Ausschreibung der Österreichischen Hochschüler:innen-schaft (ÖH) zur Studienreise an die EU-Außengrenzen entdeckt – ein Glück für die Musikstudentin: „Ich finde, wenn man in der EU lebt – und vor allem sicher und gut lebt, sollte man sich damit auseinandersetzen, was mit Menschen passiert, die in die EU wollen, aber nicht gelassen werden. Das Schöne an einer Demokratie ist, dass man mitbestimmt und das verlangt auch, dass man sich informiert und mit Themen auseinandersetzt. Somit war die Reise eine tolle Möglichkeit, die Situation vor Ort anzuschauen und anstatt über die Menschen, mit den Menschen dort persönlich zu reden.“

Los ging es im Herbst 2024 gemeinsam mit acht Studierenden sowie ÖH-Vorsitzender Nina Mathies, Petar Rosandić (Gründer SOS Balkanroute) und zwei Freunden Rosandićs.

Besondere Begegnungen

Auf welche besonderen Begegnungen Pia Dietl zurückblickt? „Auf viele. Da war einerseits Nihad, ein junger Mann aus Bosnien, der sich unermüdlich dafür einsetzt, dass Menschen in Bosnien – egal wer, egal woher – ein besseres Leben haben. Asim, der sich von Anfang an und trotz anfänglicher Polizei-Repression um die Geflüchteten kümmerte und mittlerweile als 'Baba Asim' zu einer kleinen Berühmtheit in Bosnien wurde. Dann der Pathologe Simić, der sich dafür einsetzt, die namenlosen Leichen der verstorbenen Geflüchteten (etwa im Grenzfluss Drina) zu identifizieren, dann die Familie zu verständigen und mit Hilfe von SOS Balkanroute eine Bestattung zu ermöglichen.“

Brückenbauende Strukturen

Fünf Frauen werden Dietl lange in Erinnerung bleiben: „Azra in Sarajewo, Emina und Remzija in Zvornik sowie Kadira und Ferida in Srebrenica. Alle fünf haben den Krieg in Bosnien (1991-1995) beziehungsweise den Völkermord in Srebrenica überlebt und stehen jetzt Geflüchteten auf der Balkanroute bei, unterstützen sie mit Sachspenden oder schenken ihnen neuen Mut mit einem Mittagessen und ihrem Humor. All diese Leute werden von SOS Balkanroute mit unseren Spenden unterstützt. Das macht die Organisation so besonders. Sie fördert brückenbauende Strukturen direkt im Land“, betont Dietl.

Ein außergewöhnlicher Abend

Dietl: „Von einem ganz speziellen Abend in Srebrenica möchte ich ein bisschen mehr erzählen: Nach dem Abendessen in der Nähe des Srebrenica Memorial Centers sind wir circa 30 Minuten auf einer Schotterstraße auf einen Berg gefahren, weil wir von Ferida und Kadira zum Kaffee eingeladen wurden. Wir kommen bei einem alten Bauernhof an, die Schotterstraße hat schon einige Meter davor aufgehört. Ferida und Kadira empfangen uns mit spürbarer Freude über so viel und so jungen Besuch. Sie laden uns in das Wohnzimmer ein, wo wir es uns auf der Couch und dem Teppichboden gemütlich machen. Am Tisch stehen zunächst Kekse und Zwetschken ('Aus dem eigenen Garten!', erzählt uns Ferida stolz). Wir sollen das Fenster schließen, wegen des Bären, den die beiden draußen immer wieder sehen. Danach wird Kaffee gekocht und das Gespräch beginnt.“

„Den 'Small Talk' sparen wir uns, es geht direkt um das Leben der beiden Frauen: Ferida und Kadira sind zwischen 60 und 70 Jahre alt und haben somit den Krieg in Bosnien hautnah miterlebt. Ihre Familienmitglieder wurden im Völkermord von Srebrenica ermordet. Eine der beiden erzählt uns, sie habe 50 Namen von Familienmitgliedern am Srebrenica-Memorial-Denkmal. Wir reden auch über die anstehenden Wahlen in Bosnien, ihre Schulzeit (die schönste Zeit ihres Lebens, wie sie sagen), aber auch über psychische Gesundheit und ihre Einsamkeit.“

„Ich frage, ob sie Telefone beziehungsweise Empfang haben, sie antworten: 'Ja, aber wir haben niemanden mehr, den wir anrufen können. Außer Nihad. Und er bringt zum Glück immer wieder Besuch mit.' Trotz all der Grausamkeiten, die sie erleben mussten, versichern sie uns, dass sie keinen Hass auf jemanden spüren. 'In meinem Herzen ist kein Platz für Hass, nur für Traurigkeit' und 'Hass ist kein natürliches Ereignis, sondern wurde in der populistischen Politik geboren', geben sie uns mit.“

„Nationalisten spalten die Gesellschaft, aber wenn Menschen wie wir Überlebenden zuhören, die Geschichte nicht verleugnen und Probleme der Gegenwart und Zukunft ernst nehmen, gibt ihnen das Hoffnung, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Danke Azra, Emina und Remzija, Ferida und Kadira für eure Gastfreundschaft, eure Großherzigkeit und euren Einsatz für mehr Zugewandtheit, Mitgefühl und Freundlichkeit in der Welt. Danke SOS Balkanroute, für die Unterstützung und Würdigung der Zivilcourage dieser Personen.“

Eine lehrreiche Reise

Die Stephansharterin hat auf ihrer Reise vier Dinge gelernt: „Grenzen verschließen, mehr Grenzkontrollen und Abschieben sind vermeintlich einfache Lösungen für ein komplexes Problem und können somit nicht funktionieren. Mehr 'Grenzschutz' führt ausschließlich dazu, dass Geflüchtete immer gefährlichere Wege riskieren müssen, um in die EU zu gelangen. Zurückkehren in die Heimat ist keine Alternative für Menschen, die vor Verfolgung, Krieg oder Armut fliehen müssen. Das Problem wird verschoben, nicht gelöst“, ist Dietl überzeugt.

Zudem solle man sich vor Augen halten, dass es einem nicht besser geht, nur weil es anderen schlechter geht. „Wir müssen versuchen, das Leben auf der Erde für alle Menschen besser zu machen, nicht nur für eine bestimmte Gruppe“, so Dietl weiter.

Zudem würden „nicht Migration und nicht Menschen auf der Flucht vor Krieg, Gewalt, Armut das Land spalten, sondern radikaler Nationalismus und Populisten, die das Thema und damit Menschenleben missbrauchen, um von eigentlichen Problemen und deren Lösungen abzulenken. Die Geschichte zeigt: Erstarkender Nationalismus führt zum Zerfall von Demokratien und zu Spaltung und Krieg von Gesellschaften.“

Benefizkonzert geplant

Ein weiterer Punkt: „Verdrängung und Verleugnung von Geschichte führt zu Wiederholung. Verdrängung und Verleugnung der Probleme der Zukunft führt zu irrationalen Schuldzuweisungen“, so Dietl, die gerade dabei ist, für SOS Balkanroute ein Benefizkonzert mit den „Strottern“ in Stephanshart zu organisieren (siehe Infobox): „Ich möchte den Menschen von SOS Balkanroute etwas zurückzugeben. Ein Benefizkonzert ist genau das Richtige, um meine musikalischen Vorerfahrungen und die Erfahrungen der Reise zu verbinden und zu verarbeiten“.

Benefizveranstaltung
Samstag, 15. Februar 2025
Gasthof Kremslehner, Stephanshart
Konzert ab 19 Uhr; begleitende Fotoausstellung ab 17 Uhr
Eintritt: „Pay-as-you-wish“-Tickets unter www.kupfticket.com oder beim Gasthof Kremslehner
Mehr zum Event: Benefizkonzert mit den „Strottern“ in Stephanshart
SOS Balkanroute ist eine in Wien ansässige Menschenrechts- und humanitäre Hilfsorganisation und wurde 2019 von Petar Rosandić und Freunden gegründet. Ihr Ziel ist, das Bewusstsein für die Verletzungen der Rechte von Flüchtlingen auf der Balkanroute zu schärfen und sich für eine Verbesserung der Bedingungen ihrer Behandlung einzusetzen. SOS Balkanroute sammelt außerdem Spenden für die Versorgung von Flüchtlingen und unterstützt Hilfsnetzwerke in Bosnien und Herzegowina. Quelle: Wikipedia
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