Pflege: Auf der Suche nach dem „Rollator von morgen“
OÖ/LINZ. „Was ist der Rollator von morgen? Was der Notfallknopf von morgen?“ So fasst Sozial-Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) prägnant zusammen, was gemeint ist, wenn es um Innovationen zur Entlastung im Pflegebereich geht. Das Land OÖ treibt die Digitalisierung in der Pflege voran, ein eigener Pflegetechnologiefonds wird aufgesetzt, zuallererst gelte es aber, Mindeststandards der Digitalisierung für alle Alten- und Pflegeheime einzuführen.

Die Ausgangslage ist bekannt. Zwei „Megatrends“ bestimmen die Richtung, so Johann Lefenda, Leiter der Oö. Zukunftsakademie: Die Demografie mit steigendem Pflegebedarf und Mangel an Pflegepersonal und der weitere Trend der schon lange im Alltag angekommenen Digitalisierung. „Bei der Demografie sehen wir einen überproportionalen Anstieg vor allem im Zentralraum“, nennt er die Bezirke Urfahr-Umgebung, Wels-Land, Freistadt, Linz-Land, Perg und Vöcklabruck. Dazu hätten die Babyboomer weniger Kinder, es gebe weniger Großfamilienverbände für die Versorgung Pflegebedürftiger innerhalb der Familie. „Und der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben in den eigenen vier Wänden ist sehr groß.“
„Was ist umsetzbar, was hat Potenzial?“
Die Oö. Zukunftsakademie ist seit Beginn des Jahres in der neuen Abteilung „Trends und Innovation“, gemeinsam mit der Statistik gebündelt, soll zukunftsrelevante Fragestellungen aufgreifen und neue Lösungsansätze aufzeigen.
Die Frage, die sich beim Thema Pflege stelle, so Lefenda: „Wie können Innovationen in die Praxis der Pflege gebracht werden? Was ist umsetzbar? Was hat Potenzial?“
Erstes Treffen „Technologie trifft Pflege“
Diese und weitere Fragen standen auch im Mittelpunkt der Veranstaltung „Technologie trifft Pflege“, die am Mittwoch erstmals stattfand, im JKUmedLOFT am Med Campus I in Linz. Vertreter aus dem Sozialbereich, der Forschung und der Wirtschaft trafen auf Einladung des Oö. Zukunftsfonds und des Sozialressorts zusammen, um sich Inspiration zu holen und sich zu vernetzen.
„Wir müssen die Innovationskraft der Wirtschaft mit der Soziallandschaft in Oberösterreich vereinen. Das kann enorme Chancen eröffnen, die Mitarbeiter zu entlasten und den Alltag für Pflegebedürftige zu erleichtern, auch die Angehörigen zu unterstützten“, so Sozial-Landesrat Hattmannsdorfer.
Digitalisierung: Luft nach oben im Pflegebereich
Im Gesundheitsbereich sei Oberösterreich bei der Digitalisierung im EU-Vergleich vorne mit dabei, sei mit ELGA Vorreiter, sieht Expertin Grit Braeseke vom Institut für Gesundheits- und Sozialforschung in Berlin Österreich hier gerade im Vergleich mit Deutschland vorne. Sie ist auf Einladung der Oö. Zukunftsakademie in Linz zu Gast. Im Pflegebereich aber – und hier vor allem in der Langzeitpflege - gebe es noch viel Luft nach oben.
Mindeststandards einführen
„Das Thema Digitalisierung in der Pflege reicht von der Pflegedokumentation bis hin zum Bewohner, der Netflix schauen will“, so Hattmannsdorfer. Ein erster zentraler Schritt, der gesetzt wird: Die Einrichtungen in Oberösterreich auf eine Mindestausstattung zu bringen. „Es gibt aktuell keine Mindestanforderungen für Digitalisierung in den Heimen, das kommt jetzt. Wir müssen auch endlich Klarheit schaffen, was es zu dokumentieren gilt. Wir müssen weg von der Stricherlliste – die es auch noch gibt. Wir werden auch Standards der Dokumentation definieren.“
Bereits am Laufen sei die Anbindung der Alten- und Pflegeheime an ELGA. Und für die Mobilen Dienste werde eine zentrale Datendrehscheibe erarbeitet, um sicherzustellen, dass zwischen den Bezirken keine unterschiedlichen Standards mehr in der Administration vorherrschen, kündigt der Landesrat an.
Pflegetechnologiefonds wird aufgesetzt
„Bislang wurden technische Neuerungen selten konkret für die Pflege entwickelt, sondern bestehende Entwicklungen hergenommen, aber nicht angepasst. Das hat große Erwartungen, aber dann große Enttäuschung gebracht“, weiß Expertin Grit Braeseke. „Es braucht maßgeschneiderte Systeme für die Pflege.“
Um die Entwicklung dieser in Oberösterreich voranzutreiben, wird ein neuer Fördertopf, der „Pflegetechnologiefonds“, derzeit mit Hochschulen vorbereitet. Hattmannsdorfer: „Wir starten einen Prozess, um eine Innovationskultur im Pflegebereich zu etablieren, eine Plattform für regelmäßigen Austausch zwischen Wirtschaft und Pflege. Jetzt geht es darum, die Trüffelschweine loszuschicken, um herauszufinden, was das Nugget ist, das allen hilft.“ Und weiter: „Was ist der Rollator von morgen, was der Notfallknopf von morgen?“
„Von Mensch zu Mensch“
Keinesfalls müde wird man angesichts der Thematik aber zu betonen: „Die Pflege bleibt bei den Menschen, es geht um die Betreuung von Mensch zu Mensch, die Digitalisierung wird das nicht ersetzen. Aber für die Entlastung gibt es viele Möglichkeiten“, so Hattmannsdorfer und Braeseke unisono.
„Macht Berufsbild auch spannender“
Angst davor, dass sich etwa ältere Beschäftigte nicht mehr wohlfühlen würden, mit neuen technischen Entwicklungen nicht zurechtkämen, hat Hattmannsdorfer nicht. „Es gibt technikaffine und nicht so affine Menschen. Auch bei den Heimbewohnern. Ich sehe es bei 'Pepper' in Wolfern (Anm. Sozialroboter im Pflegeheim Wolfern): Die Hälfte der Bewohner freut sich, wenn der Roboter vorbeischaut, die andere Hälfte will ihn nicht.“ Weitere bereits eingesetzte Beispiele: Virtual Reality in der Pflegeausbildung oder das Projekt „Linked Care“ in der Mobilen Pflege.
Grit Braeseke untermauert mit einer Studie aus Deutschland: „Die Technikaffinität ist hoch, auch Ältere sind aufgeschlossen, neugierig. Wichtig ist es nur, genug Zeit zu geben, die Vorteile hervorzuheben und klar zu sein, dass es nicht von heute auf morgen gehen kann.“
Wichtig sei es grundsätzlich natürlich, in der Aus- und Weiterbildung technische Grundkompetenz zu vermitteln. Gerade für Jüngere mache Digitalisierung und Technik das Berufsbild auch spannender, glauben Hattmannsdorfer und Braeseke. Jüngeren Leuten könne man zudem eine neue Rolle geben, „zum Beispiel als Technikbotschafter für ältere Kollegen. Die Technik soll ja nicht ersetzen, sondern entlasten und auch die Attraktivität des Berufs steigern“, fasst die Expertin zusammen.
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10.11.2022 14:18
"Deprofessionalisierung der Pflege" als Lösung?
Vom OÖ Soziallandesrat und Frau Wintersteiger (SO OÖ) letzte Woche zu hören> für Oö Heime geplant ist: -Personalschlüsselerhöhung um 3,5% .Evaluierung erst 2028! -Unter anderem weil Schwangere ab den 6. Monat NUR mehr zu 50% und die Pflegeleitungen nicht mehr zu 50% eingerechnet werden! Der Mindestanteil der Diplom+Pflegefachassistenten sinkt auf minimal 20%.(nur wenn Personal nicht nachbesetzt werden kann?!) Bis 10 % der Pflegepersonalstellen dürfen durch Ungelernte besetzt werden. Diese müssen jedoch im ersten Jahr in der Dienstzeit eine Ausbildung beginnen ( Müssen die Kollegen diese Zeit im Interesse auf Nachwuchs "einarbeiten"?) Bis zu 25% Stützpersonal+Heimhelfer im Pflegepersonalschlüssel? Viele weitere "interessante Ideen" siehe "50 Punkte Fachkräftestrategie Pflege Land OÖ" "Danke"