JKU entwickelt Gerät, das Tumorzellen „zerschreddert“
LINZ. Metastasen im Körper einfach zerschreddern – was so simpel klingt, könnte tatsächlich möglich werden. Ein an der Johannes Kepler Universität Linz entwickeltes Gerät schert das Blut so, dass Blutzellen nicht beeinträchtigt werden, aber zirkulierende Tumorzellen Schaden nehmen. Ein derartiges Verfahren ist völlig neu. Vorgestellt wurde es vom Institut für Medizin- und Biomechatronik im wissenschaftlichen Fachjournal „Scientific Reports“.

Über 90 Prozent der durch Krebs verursachten Todesfälle sind auf die Metastasen, also Absiedelungen, und nicht auf den primären Tumor zurückzuführen. Versuche, die bösartigen Zellen auf ihrem Weg vom Ausgangstumor über ihre Verbreitung in der Blutbahn bis zum erneuten Anwachsen in fernen Zielorganen wie Leber und Lunge abzufangen, waren bisher nur begrenzt erfolgreich. Das Auftreten von Metastasen geht mit einer deutlich erschwerten Behandlungssituation einher, und für viele Tumorpatienten ist eine Ausheilung ihrer Krebserkrankung nicht mehr möglich. Eine effektive Vermeidung der Metastasierung von bösartigen Tumoren würde die Lebenserwartung wie auch die Lebensqualität vieler betroffener Patienten entscheidend verbessern.
Der Prozess der Metastasierung ist sehr komplex. Er erfolgt durch zirkulierende Verbände von Tumorzellen (CTCs), die vom Primärtumor abgehen und im Blut oder der Lymphflüssigkeit der Patienten zirkulieren, bis sie sich im Körper absetzen und eine Metastase bilden. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Tumorzellen und Blutzellen besteht in den mechanischen Eigenschaften. Während Blutzellen an hohe Flüssigkeitsscherung angepasst sind, trifft das für CTCs nicht zu.
„Schredder“ zum Patent angemeldet
Die Idee, diese unterschiedlichen biophysikalischen Eigenschaften zu nutzen, um die Tumorzellen in der kritischen Zwischenphase, also wenn sie sich im Blutstrom befinden, mechanisch anzugreifen, stellt ein Team vom Institut für Medizin- und Biomechatronik nun im wissenschaftlichen Fachjournal „Scientific Reports“ vor. Gemeinsam mit Co-Autor Kurt Priesner, Bauingenieur und Inhaber der Griesmühle, bauten die Forscher der JKU einen „Turmorzellschredder“, der bereits zum Patent angemeldet wurde. „Mittels einer miniaturisierten Pumpe mit einer mechanisch gekoppelten rotierenden Drossel kann das Blut so geschert werden, dass es unbeeinträchtigt bleibt, die CTCs aber Schaden nehmen bzw. zerstört werden. Durch entsprechende Regelung kann die Pumpen-Drossel-Einheit so betrieben werden, dass der natürliche Blutstrom nicht beeinträchtigt wird“, erklärt Werner Baumgartner, der Leiter des Instituts für Medizin- und Biomechatronik. Mit Unterstützung von Nicola Aceto, der an der Universität Basel am Institut für Onkologie die Abteilung Metastasierung leitet, wurden in Tests Tumorzellcluster erfolgreich zerstört, während Blutzellen intakt blieben.
„Wäre ein enormer Durchbruch“
„Tumore grundsätzlich an einer Ausbreitung durch Metastasierung zu hindern, wäre ein enormer Durchbruch für die klinische Onkologie“, ist auch Clemens Schmitt, Professor an der Medizinischen Fakultät der JKU und Vorstand der Universitätsklinik für Hämatologie und Internistische Onkologie am Kepler Universitätsklinikum beeindruckt. „Auch wenn die aktuellen Ergebnisse noch sehr weit weg von einer möglichen Patientenanwendbarkeit liegen, wird hier ein Weg aufgezeigt, der nun in Folgestudien konsequent weiter beschritten werden sollte.“
Erfindung mit enormem Potenzial
Das an der JKU entwickelte Gerät ist noch kein ausgereifter Prototyp, sondern ein Demonstrator. Es zeigt, dass das Prinzip funktioniert, also die CTCs zerstört werden können. Sollten entsprechende Geräte entwickelt werden, sind prinzipiell zwei Einsatzmöglichkeiten denkbar: Extrakorporal, also außerhalb des Körpers, ein Gerät ähnlich dem der Dialyse, das Blut von CTCs befreit. Diese Variante könnte vor allem nach großen Tumoroperationen eingesetzt werden. Oder auch als dauerhaftes Implantat im Körper für Patienten mit inoperablen Tumoren, welches die Metastasierung verhindert.
Um ein klinisch einsetzbares Gerät zu entwickeln, sei noch viel Forschung und ein hoher Finanzierungsaufwand nötig: „Wir müssen den Prozess optimieren, Limits und Energieeffizienz austesten, Lager und Antriebe entwickeln und die Strömungsmechanik verbessern, um das Gerät effizient und sicher betreiben zu können“, sagt Baumgartner.
Weiters müssen Tests mit unterschiedlichen Tumorzellen erfolgen und die Hämokompatibilität muss gewährleistetet werden, also die „Verträglichkeit“ von Materialien, die mit Blut in Kontakt kommen. Erst dann können klinische Studien und die Zulassung als Medizingerät erfolgen. Auch wenn der Weg bis zu den Patienten noch weit ist, so ist das Forscherteam vom Potenzial des „Tumorzellschredders“ überzeugt: „Er könnte Patienten mit schlechter Prognose mehr Lebenszeit und Lebensqualität schenken.“
Freizeit
Kommentare sind nur für eingeloggte User verfügbar.
Jetzt anmelden