Neue Mostviertler Selbsthilfegruppe „Becken Initiative“
BEZIRK. Der Frauengesundheit – und hier insbesondere den Themen „Geburtsverletzungen“ und „Inkontinenz“ – widmet sich die neue Selbsthilfegruppe „Becken Initiative“. Das Team besteht aus Marie Krüger, Gabriele Hofbauer und Marion Ronalter Frais. Tips bat zwei der Damen zum Gespräch.

Tips: Frau Krüger, wie und wann ist es zur Gründung der Selbsthilfegruppe „Becken Initiative Amstetten“ gekommen?
Marie Krüger: Viele Frauen leiden nach der Geburt unter Beckenbodenproblemen, Schmerzen oder Inkontinenz und fühlen sich oft allein gelassen. Bei der medizinischen Versorgung in diesem Bereich ist noch Luft nach oben, und das Thema wird häufig tabuisiert. Um Betroffenen eine Anlaufstelle zu bieten, Austausch zu ermöglichen und sich für eine bessere Versorgung einzusetzen, haben wir zu dritt die Selbsthilfegruppe gegründet. Sie soll Frauen dabei unterstützen, Informationen und Hilfe zu finden, sowie das Bewusstsein für diese wichtigen gesundheitlichen Themen stärken. Denn es gibt Hilfe, zum Beispiel bei Beckenbodenphysiotherapeutinnen, in Beckenbodenzentren oder bei dafür ausgebildeten Hebammen.
Welche Verbindung haben Sie persönlich zu diesem Thema?
Ich selbst habe fast ein Jahr nach der Geburt gebraucht, um einen ersten schmerzfreien Tag zu erleben. Diese Zeit war nicht einfach und wie sehr hätte ich mir den Austausch mit Gleichgesinnten schon zu Beginn gewünscht. Aber ich bin nur ein Beispiel. Es gibt Frauen, die zu schnell „zu viel“ machen und dann zum Beispiel durch einen starken Husten Beschwerden bekommen oder Frauen, die zwar keine Beschwerden haben, aber ihren Beckenboden gar nicht ansteuern können nach der Geburt. Oder Frauen, die in den Wechseljahren starke Probleme bekommen, obwohl sie ihr Leben lang ihren Beckenboden trainiert haben, um dann in Einzelphysiotherapie festzustellen, dass sie den Beckenboden immer falsch angesteuert haben. Die Liste ist lang, die Gründe und Ursachen so vielfältig. Für all diese Frauen bietet unsere Gruppe Raum. Viele Frauen sind betroffen, doch Scham und Einsamkeit hindern sie daran, sich Hilfe zu suchen. Diese Themen dürfen nicht tabuisiert werden! Ein weit verbreiteter Rat lautet oft nur „Geduld haben“ – doch das reicht häufig nicht aus. Wir wollen betroffene Frauen mit Informationen, Anlaufstellen und mentaler Unterstützung versorgen. Gemeinsam sind wir stärker!
Wie Sie sagen, sind Geburtsverletzungen, Inkontinenz oder Organsenkungen sensible Themen, die mit viel Scham behaftet sind. Man traut sich nicht, darüber zu sprechen. Was macht das mit den betroffenen Personen, mit ihrer Psyche?
Scham und das Gefühl, mit den eigenen Beschwerden allein zu sein, belasten die Psyche stark. Viele Frauen ziehen sich zurück, vermeiden soziale Kontakte oder werden oft nicht ernst genommen. Das Schweigen verstärkt die psychische Belastung und kann zu Frustration und Hilflosigkeit führen. Dabei wäre der Austausch mit anderen und das Wissen, nicht allein zu sein, ein wichtiger Schritt, um die Lebensqualität zu verbessern.Die Selbsthilfegruppe setzt genau hier an: Frauen sollen wissen, dass sie nicht allein sind. Wir bieten ihnen praktische Tipps für den Alltag sowie Informationen zu Diagnostik und möglichen Behandlungswegen. Ein zentrales Anliegen ist es, das Thema zu enttabuisieren. Während über Sportverletzungen oder Skiunfälle offen gesprochen wird, fehlt es Frauen mit Geburtsschäden oft an der gleichen Empathie und medizinischen Aufmerksamkeit. Das wollen wir ändern – durch Aufklärung, Austausch und gegenseitige Unterstützung in einer geschützten Umgebung.
Welche Pläne hat die Selbsthilfegruppe für dieses Jahr?
Unser Hauptziel für 2025 ist es, Frauen mit Beckenbodenbeschwerden eine starke Gemeinschaft zu bieten – sowohl persönlich als auch online. Der Bedarf ist groß, da es ein solches Angebot in Österreich bisher nicht gibt. Gleichzeitig wollen wir die Zusammenarbeit mit Fachkräften wie Ärzten, Hebammen und Physiotherapeuten weiter ausbauen, um die Behandlungsqualität zu verbessern. Durch unsere Zusammenarbeit mit der Pelvi AG (Zusammenschluss Mostviertler Beckenbodenphysiotherapeutinnen), dem NÖ Dachverband der Selbsthilfegruppen, ProMami und der Beckenbodengesellschaft (BGÖ) haben wir heute eine stärkere Stimme und mehr Gehör. Unser Netzwerk soll weiter wachsen, damit Frauen sich gesehen und ernst genommen fühlen.
Frau Hofbauer, Sie sind als Beckenbodenphysiotherapeutin Teil des Leitungs-Teams der „Becken Initiative Amstetten“. Warum haben Sie sich dazu entschlossen?
Gabriele Hofbauer: Der Beckenboden ist eine oft unterschätzte Muskelgruppe, die nicht nur für die körperliche Gesundheit, sondern auch für das mentale Wohlbefinden eine entscheidende Rolle spielt. Als Beckenbodenphysiotherapeutin behandle ich Frauen, deren Beschwerden oft seit Geburt eines Kindes bestehen. Daraus hat sich meine Motivation ergeben, zusätzlich zur Pelvi AG die Becken Initiative gemeinsam mit Marie Krüger und Marion Ronalter Frais zu gründen.
Wie wichtig ist es, seinen Beckenboden zu trainieren beziehungsweise überhaupt einmal zu spüren?
Viele Menschen nehmen die Beckenbodenmuskeln erst wahr, wenn Beschwerden wie Inkontinenz, Rückenschmerzen oder Senkungsprobleme auftreten. Dabei kann ein gezieltes Training nicht nur vorbeugend wirken, sondern auch das Selbstbewusstsein und die Lebensqualität erheblich verbessern. Mein Wunsch ist, dass bereits Kinder über die Beckenbodenmuskeln und deren Funktion Bescheid wissen. Im schulischen Bereich könnte die Mädchensprechstunde bei der Gynäkologin dazu genutzt werden. Für viele Frauen ist es schwer, den Beckenboden überhaupt zu spüren. Genau hier setzt eine gezielte Schulung an. Physiotherapeutinnen mit Schwerpunkt Beckenboden helfen dabei, die Muskulatur bewusst wahrzunehmen, richtig anzusteuern und zu kräftigen. Auch der Austausch mit anderen Frauen in einer Selbsthilfegruppe kann sehr wertvoll sein – hier gibt es Raum für Fragen, Erfahrungen und gegenseitige Unterstützung.
Welche Tipps haben Sie zur Stärkung des Beckenbodens?
Die Erfahrung zeigt, je genauer die Frauen angeleitet werden und in der Einzelphysiotherapie mit Spiegel und 2D Echtzeitultraschall lernen, die Muskeln richtig zu koordinieren, desto effektiver können Beckenbodenmuskeln trainiert werden oder im Alltag aktiviert werden. Zum Beispiel beim Husten, Schnäuzen oder Trage- und Hebetätigkeiten. Der Beckenboden trägt uns ein Leben lang – deshalb lohnt es sich, ihn zu stärken. Nach der Geburt braucht der Körper Zeit zur Erholung, besonders der Beckenboden. Ein Rückbildungskurs hilft, Beschwerden wie Rückenschmerzen oder eine schwache Blase zu vermeiden. Mit einfachen Übungen unterstützen spezialisierte Physiotherapeutinnen und Hebammen, damit Frauen sich wieder wohl und stark fühlen – für mehr Energie im Alltag!
Das heißt, ein starker Beckenboden hat auch Auswirkungen auf die mentale Gesundheit? Wie sieht es mit dem Thema Sexualität aus?
Ein gut funktionierender Beckenboden sorgt für mehr Körperstabilität, eine aufrechte Haltung und ein besseres Gefühl für den eigenen Körper. Frauen, die ihren Beckenboden aktiv stärken, berichten oft von einem gesteigerten Selbstbewusstsein und mehr innerer Balance. Zudem spielt die Muskulatur eine wichtige Rolle bei der Atmung und Entspannung. Durch gezielte Übungen können Anspannungen gelöst und Stress reduziert werden, was sich positiv auf die mentale Gesundheit auswirkt. Auch die Sexualität profitiert von einem gesunden Beckenboden, da er die Durchblutung im Intimbereich fördert und das Lustempfinden steigern kann. Gleichzeitig beugt er Beschwerden wie Senkungen oder unkontrolliertem Harnverlust vor, die oft mit Scham und Unsicherheit verbunden sind. Wer seinen Beckenboden regelmäßig trainiert, fühlt sich insgesamt stabiler, ausgeglichener und energiegeladener.
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