„Der Herbst wird herausfordernd, da noch viele Betriebe Kurzarbeit haben“
LINZ/OÖ. Landeshauptmann Thomas Stelzer blickt im großen Tips-Interview auf die vergangenen Monate der Corona-Krise zurück. Er berichtet über die persönlichen Herausforderungen, die wirtschaftlichen Auswirkungen und über den bevorstehenden, richtungsweisenden Herbst.

von JOSEF GRUBER
Tips: Ein kleines unsichtbares Virus hat das Leben auf der ganzen Erde verändert. Wie hat sich Ihr Leben verändert?
Stelzer: Sehr, denn über Nacht ist unsere Welt auf den Kopf gestellt worden. Plötzlich waren Krisenmanagement, Beschaffung von medizinischen Schutzgütern, Management von Spitalsbetten und dergleichen gefragt. Und das Besuchen von Veranstaltungen sowie das Zusammenkommen mit Menschen ist vollkommen in den Hintergrund getreten. Anhand dieser wenigen Beispiele sieht man, wie grundlegend sich alles geändert hat.
Tips: Wo sehen Sie aktuell die größten Probleme?
Stelzer: Erstens zu akzeptieren, dass die Krankheit uns noch lange weiter begleiten wird und dass wir daher mit der Krankheit leben und gleichzeitig wieder unser Wirtschafts-, Arbeits- und Gesellschaftsleben in Schwung bringen müssen. Zum zweiten die angerichteten Schäden so zu beheben, dass wir daraus wieder Stärke gewinnen. Wir stellen uns aber diesen Herausforderungen: Es ist nun dringend notwendig, besonders betroffene Branchen unter die Arme zu greifen, in Arbeitslosigkeit geratene Menschen zu helfen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entlasten und kräftig in Wirtschaft, Ökologisierung und Regionen zu investieren. Mit unserem eigenen 580 Millionen OÖ. Paket setzen wir – zusätzlich zu den Unterstützungs- und Investitionspaketen des Bundes – ganz konkrete Schritte in diese Richtung.
Tips: Wie schätzen Sie die aktuelle Lage der Wirtschaft ein?
Stelzer: Erfreulicherweise entwickeln sich die Arbeitslosenzahlen wieder besser und auch in Kurzarbeit sind nicht mehr so viele Leute wie zuvor. Es muss jedoch schon jetzt überlegt werden, was nach Auslaufen der Kurzarbeit passiert. Deshalb setzen wir uns auch konsequent dafür ein, dass der Bund ein attraktives Nachfolgemodell der Kurzarbeit mit umfassenden Qualifizierungsmaßnahmen auf den Weg bringt.
Tips: Wie sehen Sie die Lage in der Gastronomie, wo es sehr unterschiedliche Reaktionen gibt?
Stelzer: Respekt vor den Unternehmern, die mit ihren Teams diese schwierige Situation meistern. Ich weiß natürlich, welche Herausforderungen die haben. Aber auf der anderen Seite muss man sehen: Der Nasen-Mundschutz ist das gelindeste Mittel, das wir einsetzen können, um eine unkontrollierte Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. Jenen, die das kritisch sehen, muss man sagen: alle anderen Schritte, wie ein neues Zusperren oder regionale Abschottungen, würden sich noch schlimmer auf unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben auswirken. Viele Länder beginnen nun auch gerade, die Maskenpflicht wieder einzuführen.
Tips: Wie sehen Sie die Lage im Kulturbereich?
Stelzer: Von einem bin ich fest überzeugt: Wenn wir das Land wieder stark machen wollen, dann braucht es dazu die Kultur. Die gehört zu uns. Die ist Bestandteil unseres Lebensmodells. Ohne Kultur gibt es keine Lebensfreude. Das Miterleben von Kulturveranstaltungen wird auf Grund der beschränkten Besucherzahlen noch eine Zeit lang anders sein. Damit müssen wir umgehen. Den Vereinen müssen wir jetzt gemeinsam mit dem Bund kräftig helfen, damit sie über diese schwierigen Phasen kommen.
Tips: Für den Profibereich hat man Lösungen gefunden. Wird es im Herbst auch wieder Amateursport geben?
Stelzer: Hier traue ich mir keine Prognose abzugeben, denn da müssen zuerst Lösungen für die Sportler sowie die Besucher gefunden werden.
Tips: Was sind die größten Herausforderungen für die nächsten Monate?
Stelzer: Unmittelbar gefordert sind wir im Gesundheitswesen, sowohl in der Qualität als auch im Angebot, dass wir genug Schutzmaterialien haben sowie dass es ein Medikament bis hin zu einer Impfung geben wird. Das ist ein weltweites Thema. Zudem gilt es die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, damit Arbeit und Einkommen gesichert sind. Oberösterreich hat in den Regionen eine starke Wirtschaft. Wir stehen auch ganz besonders für die industrielle Produktion, die aber das internationale Miteinander braucht. Und neben der bereits besprochenen Kultur gilt es auch die Frage zu klären, wie ein verlässliches Bildungsgeschehen mit der Krankheit funktionieren kann.
Tips: Wie schätzen Sie den Verlauf der weiteren Entwicklung sowohl von gesundheitlicher Seite als auch die Entwicklung der Unternehmen ein?
Stelzer: Wichtig war, dass die Bundesregierung sehr früh und massiv Hilfspakete zur Verfügung gestellt hat, wo jetzt auch das Ankommen der Gelder bei den Betroffenen noch besser gemanaget wird. Auch wir als Land haben bereits einiges auf den Weg gebracht. Und wir werden auch noch einmal etwas tun, weil vieles – wie Flugreisen und Veranstaltungen – noch lange nicht so sein wird wie vor Ausbruch der Coronakrise. Daher werden wir noch länger auf Hilfs- und Überbrückungspakete setzen müssen.
Tips: Wird es Auswirkungen auf die Politik geben? Wie schätzen Sie aus heutiger Sicht die OÖ-Wahl 2021 ein?
Stelzer: Momentan bin ich von ganz anderen Themen gefordert. Die Wahl ist noch über ein Jahr entfernt. Aber natürlich werden sich die Leute auch von den Politikern eine Meinung bilden, wie sie in den aktuellen Herausforderungen agieren.
Tips: Was hat Sie am meisten verwundert im Zusammenhang mit Corona?
Stelzer: Akzeptieren zu müssen, dass sich überraschend alles so grundlegend geändert hat und dass es so gefährlich ist, von der Gesundheit bis zur Wirtschaft. Denn unsere Generation und die Jüngeren sind in totaler Sicherheit aufgewachsen. Niemand hat nur im Hinterkopf geahnt, dass uns etwas so grundlegend erschüttern kann.
Tips: Bleibt man im Bedarfsfall bei bezirksweiten Schließungen von Einrichtungen oder bricht es weiter auf betroffene Gemeinden herunter?
Stelzer: Je punktgenauer, umso besser und vertretbarer ist jede Maßnahme. Deshalb kann es auch auf einzelne Gemeinden gehen. Leider war beim Freikirchen-Cluster nicht überschaubar, wie schnell er sich ausbreitet bzw. hat man zu wenig erfahren, wo es Kontakte gab. Deshalb war hier großflächigeres Agieren nötig.
Tips: Thema Urlauberhotspots. Was ist jetzt anders als im März in Ischgl? Außer, dass man sich großteils im Freien aufhält. Von 48 Rückkehrern weiß man ja, dass sie das Coronavirus in den letzten zwei Wochen nach OÖ gebracht haben.
Stelzer: Die ganze Welt und auch wir haben viel mehr Bewusstsein, sind vorbereitet und wissen, dass es darauf ankommt, schnell zu agieren und vor allem bei Angesteckten zu checken, mit wen gab es Kontakte in der letzten Zeit. Das ist viel Arbeit, wird aber von den Behörden gut gemacht.
Tips: Was sind die Herausforderungen für Bund, Länder und Gemeinden, die natürlich auch unter den geringeren Steuereinnahmen sowie Zusatzaufwendungen leiden?
Stelzer: Es fehlt uns Geld und gleichzeitig ist Unterstützung der öffentlichen Kassen gefordert, aber dafür sind auch öffentliche Einrichtungen da. Dank unseres „Chancen statt Schulden“ Kurses der letzten Jahre haben wir auch eine starke, finanzielle Basis dafür. Wir können zu günstigen Konditionen Verbindlichkeiten aufnehmen um das gesellschaftliche Rückgrat zu stärken, Arbeitsplätze zu sichern und die Wirtschaft wieder in Schwung bringen.
Tips: Es gibt erste Erkenntnisse, dass die Antikörper bei Genesenen wieder weniger werden können. Wird das Leben mit dem Virus neue Normalität?
Stelzer: Das können nur medizinische Fachexperten sagen. Wir werden jedenfalls noch Monate mit dem Virus leben müssen. Nachdem aber weltweit geforscht wird, auch viele österreichische Innovationsgeister dabei sind, bin ich sehr zuversichtlich, dass man das Virus mit Medikamenten oder einer Impfung in den Griff bekommt.
Tips: Immer wieder wird gefragt, warum man auf die Testergebnisse bei uns so lange warten - ca. 3 Tage -, während es am Flughafen innerhalb von wenigen Stunden ein Ergebnis gibt?
Stelzer: Vor dem Hintergrund, dass wir pro Tag bis zu 2.000 behördliche Testungen durchführen, gibt es im Zusammenspiel von Wohnsitzbehörde, Rotem Kreuz und Labor verschiedenste logistische Herausforderungen zu meistern. Da passieren natürlich auch Fehler. Es wird aber ständig an Verbesserungen gearbeitet.
Tips: Was wird von den positiven Effekten wie den „Kaufein-daheim“-Bewegungen die Corona-Zeit überdauern?
Stelzer: Das Bewusstsein für das Regionale und was es für unser Leben bedeutet, ist gestärkt worden. Ich hoffe, dass die Kaufbereitschaft zum Regionalen bleiben wird. Das würde uns insgesamt nützen, weil es die regionale Wirtschaft stützt und somit eine Win-Win-Situation darstellt. Regionale Verfügbarkeit ist auch wichtig, wenn plötzlich international nichts mehr läuft.
Tips: Mit welchen nachhaltigen Veränderungen in Gesellschaft, Arbeitsleben oder anderen Bereichen rechnen Sie?
Stelzer: Die Arbeitsorganisation wird sich ändern, etwa durch Homeoffice oder virtuelle Meetings. Das wird wiederum Auswirkungen auf Reisetätigkeiten haben. Überlegt wird auch, ausgelagerte Produktionen wieder nach Europa oder gar Österreich zurückzuverlegen. Und wir werden auf die Fitness und Resilienz der Systeme mehr achten müssen.
Tips: Fürchten Sie eine Pleitewelle im Herbst, wie es etwa Christoph Badelt vom Wifo prognostiziert?
Stelzer: Der Herbst wird sicher herausfordernd, weil wir jetzt noch viele Betriebe mit Kurzarbeit haben, auch wenn es weniger geworden sind. Daher braucht es im Herbst Investitionssignale bzw. Unterstützungspakete. Das wollen wir in Oberösterreich machen. Es braucht – wie schon erwähnt – auch eine Verlängerung der Kurzarbeit bzw. ein attraktives Nachfolgemodell. Sollte es länger dauern, bis das Exportgeschäft wieder anspringt, brauchen wir zwischenzeitlich auch ein längerfristiges Unterstützungssystem für die Industrie.
Tips: Die Gemeindemilliarde ist an Investitionen gebunden. Wird es Änderungen geben, um auch diese Förderung für den laufenden Betrieb verwenden zu dürfen?
Stelzer: Das betrifft die Bundes-Gemeindemilliarde. Wir bemühen uns gerade in Oberösterreich, ein eigenes OÖ Gemeindepaket aufzustellen, das das Abholen dieser finanziellen Mittel ermöglichen, die Liquidität der Gemeinden sichern sowie möglichst umfangreiche Investitions-Spielräume schaffen soll.
Tips: Wenn Sie drei Wünsche für das Land OÖ frei hätten, was wären die?
Stelzer: Dass der Frieden erhalten bleibt, das wir größtmögliche Gesundheit wiedererlangen und dass wir damit dann ein starkes Land wieder sein können.
Tips: Wo werden Sie selbst heuer den Urlaub verbringen?
Stelzer: Wir werden in Österreich bleiben, was ja auch sehr schön ist. Ein bisschen Bergwandern und dann ein paar Tage an den Wörthersee.
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