Freitag 14. März 2025
KW 11


Weitere Angebote

Sociale Medien

Kontakt

Im Gespräch mit der Dokumentationsstelle Politischer Islam

Anna Fessler, 04.07.2023 14:23

LINZ. Tips hat mit der Dokumentationsstelle Politischer Islam anlässlich ihres Linz-Besuchs über aktuelle Entwicklungen in (Ober-)Österreich und über einen umstrittenen Linzer Verein gesprochen.

Tips hat Ferdinand Haberl, den stellvertretenden Direktor der Dokumentationsstelle Politischer Islam zum Gespräch in Linz getroffen. (Foto: Dokumentationsstelle Politischer Islam)
Tips hat Ferdinand Haberl, den stellvertretenden Direktor der Dokumentationsstelle Politischer Islam zum Gespräch in Linz getroffen. (Foto: Dokumentationsstelle Politischer Islam)

Bei der Präsentation des Verfassungsschutzberichts 2022 diesen Mai sagte der Österreichische Innenminister Gerhard Karner, dass die Gefahren für Österreich in erster Linie vom Rechtsextremismus, von staatsfeindlichen Verbindungen und vom islamistischen Extremismus ausgehe. Staatsschutz-Chef Omar Haijawi-Pirchner betonte, dass die Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgehe, gleich wie jene, die vom Islamismus ausgehe, sei.

Rechtsextreme und Islamisten sorgten im Juni für Schlagzeilen

Wie konkret diese Bedrohung sein kann, zeigte sich im Juni mit dem Fund eines erschreckend großen Waffenarsenals im Zuge von Razzien bei einem Ableger des rechtsextremen Rockerclubs Bandidos. Im selben Monat wurde bekannt, dass junge Islamisten einen Anschlag auf die Wiener Pride-Parade geplant hatten, der glücklicherweise vereitelt wurde.

Dokumentationsstelle Politischer Islam forscht zu religiös motiviertem Extremismus

Zum Thema Extremismus forscht in Österreich unter anderem die Dokumentationsstelle Politischer Islam. Deren Vorstand war im Juni in Linz zu Gast und traf dabei auch Vertreter der oberösterreichischen Landesregierung. Tips hat im Rahmen dieses Besuchs mit Ferdinand Haberl, dem stellvertretenden Direktor, über die Arbeit der Dokumentationsstelle gesprochen. Der volle Name der Stelle lautet „Österreichischer Fonds zur Dokumentation von religiös motiviertem politischen Extremismus“, es wird also nicht ausschließlich zum Politischen Islam geforscht.

Dennoch liegt die Hauptaufgabe in der wissenschaftlichen Erforschung des Phänomens des Politischen Islam sowie damit verbundener Strukturen und Netzwerke. Beratung und Information zum Thema sind ebenfalls wesentliche Aufgaben des Fonds unter der Leitung von Direktorin Lisa Fellhofer und dem stellvertretenden Direktor Ferdinand Haberl. Die Arbeit wird von einem wissenschaftlichen Beirat unter der Leitung von Mouhanad Khorchide begleitet.

So definiert die Dokumentationsstelle Politischen Islam

Die Dokumentationsstelle definiert den Politischen Islam als eine Herrschaftsideologie, welche die Umgestaltung und Beeinflussung von Gesellschaft, Kultur, Staat oder Politik anstrebt, anhand von Werten und Normen, die im Widerspruch zu demokratischen Grundsätzen und Menschenrechten stehen.

Islamistische Influencer radikalisieren im Netz

Eine aktuelle Publikation mit dem Titel Jung. Hip. Islamistisch. befasst sich mit dem Social-Media-Auftritt von islamistischen Influencer-Gruppierungen, am Beispiel von „Generation Islam“, „Realität Islam“ und „Muslim Interaktiv“. Alle drei werden von Sicherheitsbehörden dem Umfeld der in Deutschland verbotenen islamistisch-extremistischen „Hizb ut-Tahrir“ zugeordnet. Manche der Videos würden auch die österreichische Innenpolitik thematisieren, heißt es in dem Bericht der Dokumentationsstelle. Auch die drei jungen Männer, die einen Anschlag auf die Pride in Wien geplant hatten, haben sich offenbar im Internet radikalisiert.

Die Influencer würden sich dabei häufig als Opfer stilisieren, sagt Haberl, und für ein weltweites Kalifat aussprechen.

 „Druck auf islamische Community“

„Was wir beobachten ist, dass der Druck auf die islamische Community dadurch größer wird. Es gibt eine real existierende Islamfeindlichkeit, die können wir nicht wegdiskutieren. Aber wenn Strukturen des Politischen Islam kritisiert werden, ist das nicht als Kritik an der Religion Islam zu sehen. Hier werden – manchmal bewusst – Islam und Islamismus vermischt, um ein Narrativ des „Ausgegrenzt seins“ und den Opferstatus für die eigene islamistische Agenda voranzutreiben.“, so Haberl. 

„Extremistische Muslime können sehr wohl rechtsextrem sein“

Im Hinblick auf die Türkei-Wahlen sei es besorgniserregend, dass der türkische Präsident Erdogan in Österreich so stark aus dem Ausland habe mobilisieren können. In Linz kam Erdogan sogar auf 74 Prozent. In Wien kamen nach seinem Wahlsieg hunderte Austro-Türken zusammen, um zu feiern, dabei wurde auch vielfach der verbotene Wolfsgruß – das Zeichen türkischer Faschisten –   gezeigt.

Die Grauen Wölfe könne man auch durchaus mit rechtsextremen Bewegungen wie den Identitären vergleichen. Erstere seien ein gutes Beispiel dafür, dass extremistische Muslime sehr wohl rechtsextrem sein können. „Auch wenn sich das in den Köpfen mancher ausschließt“, sagt Haberl.

Linzer Verein mit Nähe zu rechtsextremen Grauen Wölfen

Eine weitere Entwicklung die man laut Haberl derzeit beobachten könne: eine zunehmende Salafisierung in manchen Moscheen in Österreich. Der Salafismus ist eine ultrakonservative Strömung im Islam, diese sei vielerorts bereits im Zentrum angekommen. Einflüsse des Politischen Islam seien auch in Oberösterreich zu finden. In Linz sorgt der Verein „Avrasya“ immer wieder für Wirbel. Im Jahr 2016 ermittelte der Verfassungsschutz, weil der Schriftführer des Vereins ein Foto mit Hitlergruß in den sozialen Medien verbreitete. Zuvor hatte derselbe Mann mit dem Zeigen des Wolfsgrußes der türkischen Faschisten im Weiheraum der KZ-Gedenkstätte für bundesweite Empörung gesorgt. Zuletzt entbrannten Diskussionen darüber, dass Avrasya eine städtische Räumlichkeit für eine Veranstaltung nutzen durfte. Verbindungen zwischen Avrasya und den rechtsextremen Grauen Wölfen bestätigt auch die Dokumentationsstelle Politischer Islam.

Auf den konkreten Fall angesprochen meint Haberl, es stehe der Dokumentationsstelle nicht zu, politische Entscheidungen zu kommentieren. Deren Aufgabe sei es, eine wissenschaftliche Basis und Informationen zu Vereinen oder Gruppierungen zur Verfügung zu stellen. „Unsere Stelle hat einen wissenschaftlichen Auftrag, um Strukturen zu untersuchen und zu analysieren. Wie die Behörden oder die Politik mit den Ergebnissen und Erkenntnissen umgehen, obliegt dann nicht uns“, so Haberl.

Kritik an der Dokumentationsstelle

 Die Dokumentationsstelle war 2020 von der türkisgrünen Regierung ins Leben gerufen worden. Der Fokus auf den „politischen Islam“, für den es keine einheitliche wissenschaftliche Definition gibt, sorgte für Kritik. Auch das Projekt „Islam-Landkarte“ war bei seiner Veröffentlichung äußerst umstritten. Die Karte wurde vorübergehend offline gestellt, seit 2021 ist sie wieder online.


Kommentare sind nur für eingeloggte User verfügbar.

Jetzt anmelden