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"Proben für den Regimewechsel in Russland": Linzer Kreativität beeindruckt bei der Kunst-Biennale 2024 in Venedig

Tips Logo Karin Seyringer, 23.04.2024 12:32

LINZ/VENEDIG. Unscheinbare, aber bedeutsame Telefonzellen, symbolträchtige Blumen, Tonträger aus Röntgenpapier und über allem schwebend „Schwanensee“: Betritt man die hohen Räume des Österreich-Pavillons in den Giardini von Venedig, offenbart sich auf den zweiten Blick die hintergründige Kreativität von Anna Jermolaewa. Gemeinsam mit Kuratorin Gabriele Spindler hat sie den Österreich-Beitrag zur Kunst-Biennale in Venedig gestaltet. Tips war zur Eröffnung vor Ort.

Kuratorin Gabriele Spindler (l.) und Künstlerin Anna Jermolaewa (r., im Bild mit Tänzerin Oksana Serheieva) beeindrucken mit ihrem Österreich-Beitrag zur Kunst-Biennale in Venedig. (Foto: Land OÖ/Peter C. Mayr)
  1 / 5   Kuratorin Gabriele Spindler (l.) und Künstlerin Anna Jermolaewa (r., im Bild mit Tänzerin Oksana Serheieva) beeindrucken mit ihrem Österreich-Beitrag zur Kunst-Biennale in Venedig. (Foto: Land OÖ/Peter C. Mayr)

Die 60. Internationale Kunstausstellung „La Biennale di Venezia 2024“ rückt die Lagunenstadt wieder ins Zentrum des weltweiten Kunstgeschehens. Konzeptkünstlerin Anna Jermolaewa, Lehrende an der Kunstuni Linz, wurde gemeinsam mit Kuratorin Gabriele Spindler (OÖ Landes-Kultur GmbH) ausgewählt, den Österreich-Pavillon zu bespielen.

Auch sehen: Bildergalerie zur Kunst-Biennale 2024

„Politisch und zugleich poetisch“

Jermolaewa, 1970 in Leningrad (UdSSR) geboren, kam 1989 als politischer Flüchtling nach Österreich. Sie verbrachte die ersten Nächte auf einer Bank am Wiener Westbahnhof, bevor sie ins Flüchtlingslager Traiskirchen kam. Ihre fünf Beiträge im Pavillon sind ein „logischer Parcours, der von persönlichen Erfahrungen ausgehend Protest gegen repressive Systeme zum Ausdruck bringt“, so Kuratorin Gabriele Spindler. Die Beiträge seien „politisch und zugleich poetisch.“

Stelzer: „Oberösterreichisches Dream-Team“

Im Rahmen einer Delegationsreise besuchte auch Landeshauptmann Thomas Stelzer den Österreich-Pavillon, der von Bundespräsident Alexander Van der Bellen offiziell eröffnet wurde. Stelzer: „Es ist eine Ehre, dass ein oberösterreichisches Dream-Team diesen Pavillon gestaltet. Was wir hier erleben, ist nicht nur hochaktuell, es ist unglaublich ausdrucksstark, vor allem wirkt es unmittelbar. Kunst und Kultur kann anbieten, wenn wir uns darauf einlassen, dass wir zu neuem geführt werden, sehr oft zum Besseren. Das brauchen wir als Gesellschaft und auch persönlich. Diese Präsentation ist für mich ein starkes Zeichen: Dass wir Menschen alle sehr unterschiedlich sind, dass uns allen aber eines gemeinsam ist, nämlich der Wunsch, in Freiheit und in Frieden leben zu wollen.“

Kunst macht die Welt ein Stück weit erträglicher

„Anna greift mit ihren Beiträgen Fragen und Themen auf, die leider brandaktuell sind. Unterdrückung, Flucht, Vertreibung. Die Künstlerin weiß aus eigener Erfahrung, was das bedeutet“, so auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei der Eröffnung.

Jermolaewa arbeitet subtil und mit Ironie, übt Kritik und vergisst nicht auf Humor. Diese Rosen streut ihr auch Kultur-Staatssekretärin Andrea Mayr: „Mit der Biennale eröffnet sich Österreich von Jahr zu Jahr ein künstlerisches Fenster in die Welt. Das Zeitgeschehen liegt wie ein Schatten über allem, auch über dem Kunst- und Kulturbereich. Umso wichtiger ist es, dass wir uns den großen Fragen stellen. Mit den Mitteln der Kunst. Mit Auseinandersetzung, Reibung, unterschiedlichen Blickwinkeln. Anna habe sich Ironie und Subtilität bewahrt, die Werke sind kritisch und gleichzeitig humorvoll und strahlen eine Leichtigkeit aus, die aber politische Machtstrukturen aufdeckt und letztlich auf eine Verbesserung der bestehenden Ordnung abzielt. Kunst macht die Welt ein Stück weit erträglicher, das zeigt uns Anna Jermolaewa.“

Parkbank und Telefonzellen: Zeugen der ersten Stationen in Österreich

So hat sie in der Arbeit „Research for Sleeping Positions“ (2006) ihre ersten Nächte in Österreich, die sie auf einer Bank in Wien verbringen musste, nachgestellt. 17 Jahre nach ihrer Flucht nach Österreich und den damals ersten Nächten auf einer Bank gab es einen entscheidenden Unterschied: Die Bank hat nun Armlehnen, mit dem Zweck, Menschen davon abzuhalten, darauf zu schlafen.

Im Innenhof des Österreich-Pavillons finden sich sechs originale Telefonzellen aus dem Flüchtlingslager Traiskirchen, der zweiten Station Jermolaewas in Österreich. „Es sind exakt die Telefonzellen, mit denen Anna telefoniert hat, als sie in Österreich ankam. Die Telefonzellen speichern auch jahrzehntelange Migrationsgeschichte nach Österreich. Die Orte, die dort hingekritzelt sind, sind alle diese Krisenorte, die wir in den letzten Jahrzehnten gekannt haben. Sie sind voller Informationen, Geschichten und Emotionen“, so Spindler – die schmunzelnd auch erzählt, dass man mit zwei der Zellen telefonieren kann. Jermolaewa: „Ich kann mich noch gut erinnern. Für mich stehen sie für Gefühle zwischen Hoffnung und Ausweglosigkeit. Interessant ist auch: Das sind wohl die Telefonzellen mit den meisten internationalen Anrufen in ganz Österreich.“

„Musik auf Knochen“

Mit der Arbeit „The Penultimate“ (2021) füllt die Künstlerin einen Raum mit Nelken, Rosen, Tulpen oder Orangenbäumchen. Diese haben symbolische Bedeutung. Alle stehen für verschiedene Revolutionen der letzten Jahrzehnte, etwa die ukrainische „Orange Revolution“ 2004 oder die „Kornblumenrevolution“ in Weißrussland 2006.

Mit „Ribs“ thematisiert sie das Verbot westlicher Musik in der Sowjetunion nach dem Krieg. Umgangen wurde dieses, indem Schallplatten auf gebrauchte Röntgenaufnahmen kopiert wurden. „Das Röntgenpapier wurde meistens aus Krankenhäusern entwendet – so entstanden diese Ribs, die Anna in den letzten Jahren gesammelt hat. Das ist gar nicht mehr so leicht zu bekommen. Es ist auch erstaunlich, wie einfallsreich Menschen werden, wie kreativ damit umgegangen wurde“, so Spindler. Einmal täglich wird diese „Music on bones“ im Österreich-Pavillon auch abgespielt.

„Wir verbinden unsere Stimmen, um Putin zu sagen, dass seine Zeit vorbei ist“

Höhepunkt schließlich ist ein zum „Ballettsaal“ umgestalteter großer Raum, der mit Tschaikowski „Schwanensee“ akustisch und mit Videoprojektion bespielt wird. Für das titelgebende Kunstprojekt „Rehearsal for Swan Lake“ (2024) hat sich Jermolaewa mit der aus der Ukraine nach Österreich geflohenen Tänzerin und Choreografin Oksana Serheieva zusammengetan. Die Arbeit setzt bei einer Jugenderinnerung der Künstlerin an: Wenn es in der Sowjetunion zu politischen Unsicherheiten kam, dann stellte das Staatsfernsehen seine Berichterstattung ein und sendete Schwanensee, manchmal tagelang. Tschaikowskys Ballett wurde somit zu einem Code. Der Klassiker wird hier von einem Mittel der Zensur in politischen Protest verwandelt.

„Wir verbinden unsere Stimmen, um Putin zu sagen, dass seine Zeit vorbei ist. Stopp diesen Krieg und verlasse die Ukraine!“, findet die Künstlerin klare Worte. „Und es müssen Wege gefunden werden, um die Ukraine weiterhin in allen möglichen Formen zu unterstützen.“

Die Tänzerinnen proben für den Regimewechsel in Russland. Die Hoffnung: dass nicht mehr lange geprobt werden muss.

Hier geht's zur Bildergalerie.

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Biennale 2024: „Foreigners Everywhere“
Die Biennale Arte 2024 hat zum generellen Thema „Stranieri Ovunque - Foreigners Everywhere“. Dieses stand bei der Einreichung des Konzepts von Spindler und Jermolaewa noch nicht fest, wie Spindler erzählt. Umso schöner, dass sich der Beitrag nahtlos einfügt. Das Land OÖ unterstützt den Österreich-Beitrag (neben der Basisfinanzierung durch den Bund und zahlreicher Sponsoren wie die Energie AG) finanziell.

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